Vom Vati Staat und seinen Muttis

Die Enquetekommission des Bundestages zur DDR-Geschichte lud zur Anhörung über die Rolle der Frauen. Zutage kamen erstaunliche Erkenntnisse über „Gemeinschaftskörper“ und biologistische Traditionen  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Nun wird auch Mutti aufgearbeitet. Um „die Situation der Frauen im geteilten und im vereinigten Deutschland“ ging es am Montag in Berlin in einer öffentlichen Anhörung, zu der die Enquetekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“ eingeladen hatte. Die 1995 vom Bundestag eingesetzte Kommission ist Nachfolgerin einer ersten, die ihre DDR-„Aufarbeitung“ 1994 abgeschlossen hat, und soll sich vernachlässigter Themen annehmen. Welche Tiefe des Wissens über die Frauenfrage im Bundestag herrschen muß, zeigte sich daran, daß von 24 Kommissions- Abgeordneten ganze vier anwesend waren. Die zwölf Sachverständigen der Kommission hingegen waren fast vollständig versammelt – aber ausschließlich männlich.

Selber schuld, meine Damen und Herren Abgeordneten. Gleich zu Beginn haben Sie einen außerordentlichen Vortrag verpaßt. Um die Jahrhundertwende, so die Kulturtheoretikerin Christina von Braun, seien in Deutschland zwei öffentliche Diskurse geführt worden, die sich in der kollektiven Phantasie heillos vermischt hätten. Erstens ging es, stark antisemitisch gefärbt, um die Frage, ob Juden Zugang zu öffentlichen Ämtern und Lehrstühlen erhalten sollten oder ob „die Natur des Juden“ eine „zersetzende“ sei. Zweitens debattierte man(n), ob Frauen Zugang zur Universität erhalten sollten oder ob das wider ihre „biologische Natur“ sei. Intellektuelle Juden und emanzipierte Frauen verschmolzen in den Köpfen rechter Agitatoren zu einem einzigen Feindbild. „Rassenforscher“ Otto Hauser warnte: „Bei keinem Volk findet man soviel Weibmänner und Mannweiber wie bei den Juden. Deshalb drängen sich so viel Jüdinnen zu männlichen Berufen, studieren alles mögliche.“ Diese jüdischen Mannweiber hätten einen „deutlichen Bartanflug“ und „unausgebildete Brüste“.

Die Verwischung der Grenzen zwischen Männern und Frauen sei mit der Verwischung der Grenzen zwischen Juden und Deutschen gleichgesetzt worden, führte die Berliner Professorin weiter aus. Daß der Nationalökonom Werner Sombart und andere die Assimilation der Juden mit dem Geschlechtsakt verglichen hätten, verweise auf eine in Deutschland besonders ausgeprägte, physiologisch definierte Vorstellung vom „Gemeinschaftskörper“, aus dem die Nazis wenig später den „Volkskörper“ konstruierten. Die Erbschaft dieser biologistischen Vorstellungen hätten indes beide Deutschlands angetreten. Das zeige sich beim Festhalten am Blutrecht (ius sanguinis) im Staatsbürgerschaftsgesetz genauso wie bei der verkrampften Ideologie der Mütterlichkeit in beiden deutschen Staaten. Während jedoch die West-Mama als Hausfrau in der Tiefe von Waschmaschine und Putzeimer Erfüllung zu suchen hatte, durfte die Ost-Mutti in der Fabrik „ihren Mann stehen“.

Die Frauenforscherin Carola Sachse erinnerte daran, daß schon zu Beginn des Kalten Krieges zwischen BRD und DDR ein regelrechter Propagandakrieg um die weibliche Erwerbsarbeit losgebrochen war: „Das bundesrepublikanische Ideal der Hausfrauenehe ging einher mit der Anprangerung des Erwerbszwangs der Frauen in der DDR und dessen Gleichsetzung mit den nationalsozialistischen Dienstverpflichtungen.“ Umgekehrt habe die DDR auf den „Vollzug sozialistischer Frauenemanzipation“ verwiesen und mit dem Finger auf die geknechteten Hausfrauen im Westen gezeigt. 1950 habe die DDR das Recht einer Ehefrau auf Berufsausübung festgeschrieben, so Carola Sachse weiter, während BRD- Frauen noch bis 1977 ihr Ehegespons um Erlaubnis fragen mußten, wenn sie außer Haus arbeiten gehen wollten. Bereits 1946 habe die sowjetische Militärregierung die Einführung von gleichem Lohn für gleiche Arbeit verkündet, während das Bundesverfassungsgericht 1955 Frauenlohngruppen als grundgesetzwidrig verbieten mußte. Dennoch hätten auch in der DDR die Frauenlöhne nur 75 Prozent der Männerlöhne erreicht. Denn in Ost wie West galt: „Je mehr Frauen in einem Beruf oder in einer Branche vertreten sind, um so geringer wird entlohnt.“ Auf diese Weise seien auch Männerberufe wie das Ingenieurswesen entwertet worden. „Mutti konnte wie ein Mann arbeiten und dennoch ganze Frau bleiben“, brachte Marina Beyer, ehemals Gleichstellungsbeauftragte der letzten DDR-Regierung, dieses Phänomen ironisch auf den Punkt. Sie erinnerte daran, wie die – angesichts von Arbeitskräftemangel und Frauenüberschuß nun mal unumgängliche – Einbeziehung der Frauen in die Produktion flankiert wurde: Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung, Gewährung eines monatlichen bezahlten „Hausarbeitstages“ und vieles mehr. Für Haushalt, Kinder, Erziehung erklärte man auf diese Weise weiterhin die Frauen für hauptzuständig. „Vater Staat übernahm in paternalistischer Manier die Fürsorge, um seine Frauen von oben nach unten zu emanzipieren“, so das Resümee der Ex-DDR-Oppositionellen. Dennoch: Die meisten Frauen haben es nach Ansicht von Marina Beyer geschafft, sich im staatlich vorgenormten Leben ganz gut einzurichten.

Der Schock kam mit den Massenentlassungen nach 1989. Oder, wie es Edda Ahrberg formulierte, die Stasi-Beauftragte von Sachsen- Anhalt: „Mit dem Ende der DDR kamen die Männer.“