Er sagt die Wahrheit

■ Türken in Kreuzberg stimmen Yașar Kemals Kritik an Deutschlands Ausländerpolitik zu

Berlin (taz) – Die Frage scheint überflüssig. Klar kenne er Yașar Kemal. Immerhin sei er der berühmteste Schriftsteller der Türkei. In Bektaș Erens Kreuzberger Kneipe ist am Sonntag vormittag noch nicht viel los. An drei Tischen verteilt sitzen eine Handvoll Männer und spielen Okey, eine Art Rommee. Einer liest die Hürriyet. Mustafa Baden kennt Kemals Bücher nicht. „Aber ich bin stolz darauf“, sagt er, „daß ein türkischer Schriftsteller diesen Preis in Frankfurt bekommen hat.“

Das findet Wirt Eren auch. Aber nicht, weil Kemal Türke sei, sondern weil er „ein mutiger Mann ist“. Immerhin stünde der Schriftsteller fast jeden Monat vor einem türkischen Gericht wegen seiner Bücher „über die Heimat“. „Es ist gut, daß er trotzdem schreibt, was er denkt“, sagt Eren.

Yașar Kemal steht für kritisches Denken. Und dafür hat er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. Jetzt wendet sich seine Kritik gegen die Bundesrepublik. Die Türken in Deutschland, so Kemal, würden wie Menschen dritter Klasse behandelt.

Kemal sagt die Wahrheit. Die Männer in Erens Kneipe sind sich einig. An erster Stelle stünden die Deutschen, an zweiter europäische Ausländer und dann erst die Türken. Gleichberechtigung gebe es hier nicht. „Warum brauchen unsere Kinder, die hier geboren werden, ein Visum?“ fragt Mustafa Baden. „Das Gesetz ist für Deutsche ganz locker und für Türken ganz hart.“ Für den Neffen, der von der Polizei mißhandelt wurde, weil er betrunken Auto gefahren ist. Für den Mann, dessen Sohn nach der Scheidung der deutschen Frau zugesprochen wurde, obwohl das Kind zum Vater wollte.

All das wäre „einem Deutschen nicht passiert“, so Student Hasan. Ob Kemals Rede etwas bewegen wird? Hasan ist sich nicht sicher. „Wahrscheinlich nicht viel, obwohl er weltbekannt ist.“ Aber, fügt er dann noch hinzu, „wer nicht schreit, wird nicht gehört“. Uta Andresen