■ Mit der Londoner Börse auf du und du
: Verdauungspause

London (rtr) – Als ob der Jahrestag des Schwarzen Montags nicht genug wäre: Fast auf den Tag zehn Jahre nach dem Börsencrash führt die Londoner Börse heute ihr neues elektronisches Handelssystem „Sets“ ein und gibt Händlern und Anlegern Anlaß zu doppelter Nervosität. Am 19. Oktober 1987 verloren die Aktien an der New Yorker Börse fast ein Viertel ihres Werts. Kurseinbrüche an allen bedeutenden Finanzplätzen folgten. Wie das neue System einen solchen Schock verkraften würde, ist unsicher. Die Londoner Börse gibt sich allerdings zuversichtlich.

Der neue Stock Exchange Electronic Trading Service automatisiert über ein elektronisches Auftragsbuch den Aktienhandel. Sobald Angebot und Nachfrage übereinstimmen, schließt der Computer ein Geschäft ab.

Sets soll den Handel transparenter machen und die Kosten senken. Bei Kursausschlägen von mehr als zehn Prozent stoppt das System automatisch den Handel mit der betreffenden Aktie. Die Marktteilnehmer bekommen eine zehnminütige Pause verordnet, in der sie kursbewegende Nachrichten verdauen und sich beruhigen sollen. Was geschieht, wenn der Gesamtmarkt um zehn Prozent gewinnt oder verliert, ist allerdings unklar.

Führungsmitglieder der Londoner Börse sagen, es gebe keine klare Richtlinie, ob in einem solchen Fall der gesamte Handel gestoppt werde. „Wir werden darüber entscheiden, wenn es soweit ist“, sagte Börsenchef Gavin Casey. Im Klartext: Solange die Börse glaubt, daß ein ordnungsgemäßer Handel möglich ist, kann sie die Aussetzung verhindern.

Bislang läuft der Handel über sogenannte Marktmacher. Diese geben die Kurse an, zu denen sie handeln wollen. Will ein Händler zu den angebotenen Konditionen kaufen oder verkaufen, ruft er den Marktmacher an und erteilt ihm den Auftrag. Da die Marktmacher dazu verpflichtet sind, Kurse zu stellen, läuft der Handel auch in Crashsituationen weiter. Während des Kurssturzes 1987 ließen die Marktmacher den Hörer auf der Gabel liegen, um allzu hohe Verluste zu vermeiden. Die Investmentbank BZW entschied sich damals dagegen – und verlor 75 Millionen Pfund (heute 215 Millionen Mark).