Politik für Edelproletarier?

■ Lafontaines und Zwickels Plädoyer für mehr Lohn ist halb richtig

Es ist noch gar nicht lange her, da galt Oskar Lafontaine vielen Traditionalisten in der Gewerkschaft als „Verräter“. Ausgerechnet als die Metaller für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich stritten, stimmte Lafontaine das Lied vom Teilen an – von Arbeit und Einkommen. Nach Jahren des Experimentierens steht heute fest: Im Kern lag Lafontaine richtig. Denn ohne eine solidarische Umverteilung der Arbeit sind die Beschäftigungsprobleme der hochproduktiven Industriegesellschaften nicht zu lösen.

Einen Königsweg beschreibt diese Strategie, die im öffentlichen Dienst nach dem Modell des Berliner Politologen Peter Grottian auch kurzfristig große Chancen böte, indes nicht. Denn das Arbeitsvolumen ist in der Privatwirtschaft kein feststehender Wert, der sich wie ein Acker nach Belieben teilen ließe. In der Marktwirtschaft entscheidet letztlich der Konsument mit seiner Nachfrage, ob „Arbeitsäcker“ Bestand haben oder wie Schnee in der Sonne schmelzen. Besser als jedes ökonomische Lehrbuch hat die Entwicklung Ostdeutschlands diesen ökonomischen Zusammenhang illustriert.

Doch der Konsument entscheidet nicht nur über das Wo und Was, sondern auch über das Ob. Ohne Moos nix los! Wenn die Kaufkraft fehlt, bleiben die Regale voll, denn, das wußte schon der alte Ford, Autos kaufen keine Autos. Gesamtwirtschaftlich macht deshalb die Forderung nach einer deutlichen Lohnerhöhung durchaus Sinn.

Von den gut verdienenden Konzernen wäre eine solche Wende in der Lohnpolitik auch leicht zu verkraften. Doch nur für sie: Wer an der Verlustzone entlangschrammt, kann durch einen Lohnkostenschub leicht abstürzen – mit fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt. Wenn die Gewerkschaften darauf keine Rücksicht nähmen – etwa durch Öffnungsklauseln –, fielen sie zurück in eine klassische Klientelpolitik, die nur einer Minderheit von Edelproletariern zugute käme.

Machte Lafontaine sich zum Fürsprecher einer solchen Politik, stünde er als Hoffnungsträger für weite Teile der Beschäftigten und der Arbeitslosen nicht mehr zur Verfügung. Gefragt ist jetzt eine differenzierte Lohnerhöhungs- und Arbeitszeitumverteilungspolitik, gepaart mit einer Neuauflage der „Bündnis für Arbeit“-Initiative. Reine Lohnkämpfe führen uns nicht weiter. Walter Jakobs Bericht Seite 4