■ Einigung bei der Altersteilzeit stärkt Flächentarifvertrag
: Ein Schritt nach vorn

Die Offensive der Neoliberalen, die Arbeitskraft als eine Ware wie jede andere Ware zu propagieren und sie dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen, gerät ins Stocken. Das zeigt der Kompromiß zur Altersteilzeit in der südwestdeutschen Metallindustrie. Er stärkt den Flächentarifvertrag in einer Zeit, in der konservative Funktionäre und Publizisten vom „rheinischen Kapitalismus“ oft nichts mehr wissen wollen und die kollektiven Tarifvereinbarungen „als im Widerspruch zu unserem Wirtschaftssystem stehend“ zu denunzieren suchen.

Lohnabhängige individuell ausgeliefert dem Diktat des Kapitals – das ist die gesellschaftliche Vision, die jenseits des Flächentarifvertrages droht. Nur starke Gewerkschaften, die im Zweifelsfall mittels Streik über Erzwingungsmacht verfügen, können einen solchen neoliberalen Katastrophenkurs verhindern. Doch dieser Kurs liegt auch nicht im Interesse jener Unternehmen, die aufgrund der betrieblichen gewerkschaftlichen Stärke als Folge den archaischen Kampf um Lohn und Brot auf ihrem eigenen Werksgelände zu fürchten hätten.

Gute Profite sind so gewiß nicht zu machen. Das wissen die Manager von Mercedes ebenso wie jene von Porsche. Und deshalb waren sie auch jetzt an kollektiven, die Friedenspflicht begründende Verträge zur Altersteilzeit interessiert. Nichts kommt dem Kapital ungelegener als ein Streik in Boomzeiten. Weil aber längst nicht alle Metallunternehmen so gut florieren wie derzeit die Automobilbranche, war für die IG-Metall ein Ergebnis wie bei VW über die gesamte Fläche nicht zur erzielen. Für viele kleine und mittlere Metallunternehmen wären die Kosten, die VW mit 150.000 Mark pro Vorruheständler angibt, auch nicht verkraftbar. Der gefundene Kompromiß trägt dem Rechnung.

Wenn sich die Betriebsparteien einigen – und in großen Betrieben ist das sehr wahrscheinlich –, sind jetzt dennoch dem VW-Modell vergleichbare Ergebnisse möglich. Für alle anderen Betriebe gilt der Rechtsanspruch auf Altersteilzeit ab dem 61. Lebensjahr. Weil mit diesem Kartellvertrag beide Tarifpartner leben können, dürfte eine neue Tariffluchtbewegung aus ihm nicht erwachsen.

Was der Tarifvertrag für den Arbeitsmarkt bringt, steht dahin. Bisher haben die Arbeitsämter gerade mal 5.300 entsprechende Anträge auf Altersteilzeit registriert. Zu großen Hoffnungen besteht deshalb kein Anlaß. Das Teilen zwischen Alt und Jung scheint noch nicht populär. Walter Jakobs