Volle Pulle lesen lassen

■ Ein Bär (von geringem Verstand): Harry Rowohlt in der Kulturbrauerei (sic!)

Eine Flasche Whiskey (Tullamore Dew) gehört unverzichtbar dazu. Zum Verdünnen ein paar Pullen Bier, am besten von der Brauerei vor Ort. Da hält es Harry Rowohlt mit Max Goldt: Biere sind wahrlich nicht dazu geschaffen, daß man sie um die halbe Welt transportiert. Prophylaktisch pissen war er auch schon: So 'ne schöne Künstlergarderobe mit so 'nem schönen Künstlerklo – das muß man doch ausnutzen.

Dann geht es aber los mit der original Harry-Rowohlt-Lesung. Volle Pulle: Du kannst absolut sicher sein, daß der „linke Traditionszausel“ da oben auf dem Podium nicht eher endet, bis auch der letzte „Schnaps“ (Tullamore Dew) getrunken und der letzte Witz erzählt ist. Das kann Stunden und Aberstunden dauern, Stunden voller „Ahaha-Erlebnisse“, Anekdötchen und Bekenntnissen. Ein guter Grund gegen die Rechtschreibreform: „Orthographie ist das einzige, was ich kann. Jetzt stehe ich vor dem Nichts. Ich kann ja nicht mal skifahren.“

Original Harry-Rowohlt-Lesungen sind kraftvolle Naturereignisse, angenehm unweihevoll und äußerst kultig: Literatur ausnahmsweise nicht als schmallippige Publikumsquälerei, sondern herzogisch unverkrampft. Mit seinem weißen Haar und runden Rauschebart könnte Rowohlt auch als lustiger Karl Marx durchgehen, und wie er hinter dicken Wolken aus Zigarettenrauch verschwindet, seine Baßstimme grollen und rollen läßt, könnte er auch den lieben Gott in der Kinderkirche darstellen.

Soweit kommt es nicht, aber wenigstens macht er den katholischen irischen Prediger aus Frank McCourts Irland-Roman „Die Asche meiner Mutter“ (den er übersetzt hat) und singt eine irische Ballade im Original und in Übersetzung. Das ist sein Übersetzerehrgeiz: Die Texte in ein singbares Deutsch zu bringen. Er schafft's. Prost und Applaus.

Singbar sind auch seine Kolumnen „Pooh's Corner“, die vorgelesen – und versehen mit vielen Kunstpausen für die Lacher, Zwischenkommentaren, Fußnoten, Sondergeschichten, Klammern auf und Klammern zu ohne Ende – noch viel schöner sind, als wenn man sie im unhandlichen Zeit- Feuilleton lesen muß.

Ein original Harry-Rowohlt- Lieblingssatz geht so: „Er schraubte sich ein zierliches Schnäpschen in die enorme Zisterne seines gewaltigen Leibes.“ Und der original Harry-Rowohlt- Lieblingswitz geht so: „Was ich zum Beispiel davon halte, daß die Lindenstraße in Berlin in Axel- Springer-Straße umbenannt werden soll? Dann sollen die gleich Nägel mit Köppen machen und Unter den Linden auch noch umbenennen: in Unter den Axeln.“ Darauf noch einen Schnaps (Tullamore Dew) und einen Tusch, und weiter geht's.

Und wenn das Publikum nicht irgendwann doch noch gegangen ist, sitzt Harry Rowohlt wahrscheinlich immer noch da oben an seinem Tisch und trinkt und liest und liest und trinkt. Das Leben kann doch so schön sein. Jörg Magenau