Deutscher Hochbau liegt im Keller

■ Massiver Auftragseinbruch, nachdem die Steuerabschreibung für Projekte im Osten ausgelaufen ist

Berlin (taz) – Auf einer Berliner Ansichtskarte glänzt der Potsdamer Platz noch als größte Baustelle Europas, doch mit dem Bauboom ist es vorbei. 8,3 Prozent weniger Aufträge als im Juli des Vorjahres meldete das Statistische Bundesamt gestern – Tendenz weiter fallend. Vor allem in Ostdeutschland brach die Baukonjunktur ein. Die Nachfrage nach neuen Bürogebäuden, Schwimmbädern und Werkshallen ging hier im ersten Halbjahr um fast ein Viertel zurück. Bundesweit werden 1997 voraussichtlich noch einmal 80.000 Arbeitsplätze abgebaut, schätzt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Der zentrale Grund für den Absturz ist das endgültige Auslaufen der hohen Sonderabschreibungen für Bauprojekte Ende 1996. Bis dahin hatten Gutverdiener die Möglichkeit, in den neuen Ländern 50 Prozent der Baukosten als Sonderabschreibung bei der Einkommensbesteuerung anzurechnen. Investoren konnten beim Finanzamt etwa ein Viertel ihrer Kosten wieder hereinholen. Auf diese Weise wurde „künstlich ein Boom herausgekitzelt“, sagt Bernd Bartholmai, Experte für die Bau- und Wohnungswirtschaft beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Ob die Steuersparkünstler aus dem Westen mit ihrer Investition glücklich werden, muß sich allerdings erst noch weisen. Denn die Sonderabschreibungen erhalten sie nur, wenn sie die neu errichteten Gebäude mindestens fünf Jahre lang vermieten. Im Wohnungsbau bräuchten die Investoren eigentlich Mieteinnahmen von 25 Mark pro Quadratmeter, damit sich ihre Kapitalanlage rentiert, sagt Bernd Bartholmai. Doch viele Leute, die das zahlen könnten, gibt es nicht. Die Folge: ein Überangebot an Hochpreiswohnungen und purzelnde Mietpreise. Unter solchen Umständen mag niemand mehr in den Wohnungsbau investieren.

Ganz ähnlich sieht es bei den Wirtschaftsbauten aus. Die Gewerbeparks und Handelszentren im Osten wurden weitgehend über Sonderabschreibungen finanziert. Da das Auslaufen des Baubooms nicht mit einem Aufschwung in anderen Wirtschaftszweigen zusammenfällt, sieht Bartholmai „nicht viel Licht am Ende des Tunnels“. Auch in westdeutschen Großstädten wie Frankfurt und Düsseldorf stehen nach wie vor viele Büros leer.

Die einzigen Lokomotiven für die Baukonjunktur sind derzeit die privaten Häuslebauer und Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann. Günstige Zinsen und die gesetzliche Eigenheimzulage lassen Einfamilienhäuser weiter aus dem Boden sprießen. Und der Fernstraßenbau des Bundes im Osten bremst den Rückgang der öffentlichen Bauinvestitionen.

Die Talsohle dürfte im Westen 1998 erreicht werden, prognostiziert das DIW. Diese Einschätzung teilt auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Im Osten erwartet Ifo-Experte Volker Rußig jedoch auch 1998 noch ein „deutliches Minus“.

Auf dem Arbeitsmarkt macht sich neben der sinkenden Baunachfrage nach wie vor die Konkurrenz durch ausländische Billigarbeiter bemerkbar. Scheinselbständige vor allem aus Großbritannien und Irland entrichten keine Steuern und Sozialabgaben und machen so den einheimischen Beschäftigten das Leben schwer. Daran hat auch der seit Januar geltende Mindestlohn in der Europäischen Gemeinschaft wenig geändert. Es mangelt an wirksamen Kontrollen und Sanktionen. Johannes Bernreuter