Ein sinnliches Mißverständnis

Auf der Suche nach opulenter Ölmalerei hat der Bonner Museumsdirektor Dieter Ronte 31 chinesische Künstler gefunden. Jetzt werden ihre Arbeiten im Haus der Kulturen ausgestellt  ■ Von Harald Fricke

Im Haus der Kulturen der Welt legt man viel Wert auf Information. Erst recht, wenn man andere Museen zu Gast hat. Zur „China“- Ausstellung ist schon in der Eingangshalle eine Wand mit den Fotos aller beteiligten Künstler eingerichtet, die Dieter Ronte vom Bonner Kunstmuseum und sein Co- Kurator Walter Smerling besucht haben. Zhang Xiaogang etwa sitzt rauchend vor dem Ölporträt einer dreiköpfigen Idealfamilie (auf der Staffelei kleben Videostills von Sinead O'Connor), Wang Qiang präsentiert sich verschmitzt mit einem Selbstbildnis auf übergroßen „World Bank“-Noten, manchmal wird auch untereinander diskutiert. Dazu gesellen sich Momentaufnahmen, wie es heißt, von freundlichen Reisbauern auf dem Trampelpfad, Luxusboutiquen oder buntgeschminkten Kindern im Schulbus: „China – süß-sauer“ eben, wie Smerling seine Reiseeindrücke im Katalog beschrieben hat.

Zusätzlich wird ein Video gezeigt, das die aktuelle Entwicklung der Kunstszene in China dokumentieren soll. Nebenbei bekommen Besucher erklärt, wie sehr sich wirtschaftliche und politische Interessen im kulturellen Bereich verschränken. Zwischendurch ist von der gesellschaftlichen Krise am Ende des 20. Jahrhunderts die Rede, und davon, daß man sich in den von Medienflut und Werteverfall geprägten Zeiten über Kultur einander wieder annähern kann. Deshalb ist eine Ausstellung zeitgenössischer Malerei gerade aus China heute notwendig, darüber waren sich die Eröffnungsredner am Dienstag abend einig – auch wenn die akkuraten Bilder einen staunenden Eberhard Dieppgen an klassische Akademiekunst erinnerten.

Falsch liegt er damit nicht. Tatsächlich haben sich Ronte und Smerling bei ihren Atelierbesuchen von den Empfehlungen einiger Professoren leiten lassen, die an der Malakademie Xian unterrichten. Auch von dieser Hochschule gibt es einen Schnappschuß, das Eingangstor mit der Inschrift: „Kunst und Kultur soll dem Bauern, dem Volk und den Soldaten dienen“.

Und hier beginnt bereits das Problem – warum greift eine Ausstellung, die sich angeblich sehr darum bemüht, nicht die offizielle Kunst Chinas zu übernehmen, ausgerechnet auf staatlich geschulte Malerei zurück? Ähnlich absurd ist die prinzipielle Beschränkung auf Ölgemälde, obwohl in China während der letzten Jahre vor allem Performances, Videokunst und neuen Medien zugenommen haben. Zuletzt konnte man Feng Mengbos „My private album“ als CD-ROM-Installation auf der documenta sehen – seine Arbeit hatte Catherine David wiederum bei der Ausstellung „Die anderen Modernen“ entdeckt, die im Frühjahr im HdKW zu sehen war.

Überhaupt hätte man sich von seiten des Hauses mehr in die Konzeption einmischen müssen. Obwohl man selbst vor vier Jahren die hervorragende Ausstellung „China Avantgarde“ mit organisiert hat, wird nun die deutlich schlechtere Zusammenstellung von Malern einfach übernommen und durchgewunken. Parallel präsentiert die Galerie Vierte Etage um die Ecke vom Olivaer Platz 15 zeitgenössische Künstler, von denen bald zwei Drittel auch im Haus der Kulturen gezeigt werden. Die kleinen Formate kosten an die 6.000 Mark – von den teils wandgroßen Bildern der „China!“- Show wurden nach der ersten Station in Bonn angeblich ganze Serien verkauft. Für Dieter Ronte ist sein Konzept aufgegangen: „In China dient die neue Kunst nicht mehr der Politik. Sie argumentiert für sich selbst, das Massenmedium ist individuell geworden, Subjektivität und Individualität triumphieren.“

Das kann man als Fortschritt deuten, so wie sich Ronte auch sehr darüber begeistert, daß man in China mit der „jungen westlichen Technik“ der Ölmalerei seit gerade mal 110 Jahren arbeitet. Insgesamt bleibt jedoch der Eindruck, daß bildende Kunst hier auf Handwerk und guten Willen reduziert wurde – eine Tendenz, die offenbar auch in Berlin zunimmt (der Galerist Günther Brusberg etwa begründet seine „Ostwind“- Auswahl an realsozialistischen Malern ebenfalls mit der überragenden Qualität der Exponate).

Mitunter mag man im Haus der Kulturen die ungeheure Perfektion sogar bewundern. Gleich zu Beginn hängen zwei von Shi Chong gemalte fotorealistische Akte, die keine Kamera hätte schärfer aufzeichnen können. Andere Arbeiten wie die siebenteilige Serie „Schmetterlinge & Blumen“ von Liu Dahong erzählen im Stil von mittelalterlichen Miniaturen die politische Geschichte der letzten 100 Jahre – am oberen Bildrand landen die europäischen Missionare, in der Mitte passiert Maos Revolution, und nach unten hin wird bis zur zaubernden Disney- Ente nur alles immer dekadenter.

Dem Westen begegnet man fast durchgehend als Klischee einer weltumfassenden Vereinheitlichung von Wegwerfimages: Die Medien sind schuld, wenn der Mensch seine Identität verliert. Bei Zhang Gong bestehen Computerviren aus dem massenhaft reproduzierten Gesicht von Marilyn Monroe, Wei Guangqing hält seine Kombination aus Badenixen, Pornoszenen und alten chinesischen Erotiktuschen für ein „Sinnliches Mißverständnis“, und Liu Wei sieht überall Männerzungen, die nach Frauenschlitzen lechzen. Seltsamerweise wird diese Verrohung der Sitten gerne in Gegensatz zu idyllischen Landschaften gesetzt, als läge die Zukunft doch eher im China der Kaiser-Dynastien, und nicht in der Globalisierung. „Vielleicht verursacht die Aufmerksamkeit des Westens eine ideologische Betrachtungsweise“, schreibt Wei Guangqing, während auf seinem Bild „1997“ die britische Flagge über Hongkong im Bildgefüge aus wilden grauen Kanten verschwindet.

Gleichzeitig ist es der popartig aggressive Gestus in Wang Guangyis „Visum“-Bildern, der über das Zitat hinausreicht und wieder im Leben ankommt. Vermutlich hängt das Engagement des 1956 geborenen Malers, der in der Provinz Hubei unterrichtet, mit seinen eigenen Erfahrungen zusammen. Im Katalog heißt es noch ein wenig steif in Verwaltungschinesisch: „Das Bemühen um ein Visum macht deutlich, wie viele Probleme sich aus dem Einfluß der Ideologie auf Gefühle, Glauben und nationale Identität eines Menschen ergeben. Das Ende der immanenten Probleme der Kunst wirft den Gegenwartskünstler auf die Probleme außerhalb der Kunst zurück.“ Leider steht der zeitgenössische Ansatz von Guangyi in Berlin ziemlich allein da.

Bis 4. Januar 1998, Haus der Kulturen der Welt. Katalog: 39 DM