"Du wirst regelrecht ausgeraubt"

■ Ein Gespräch mit dem Comiczeichner Gerhard Seyfried

taz: Zwille, Ihre Hauptfigur, hat seit den 70ern kräftig Haare gelassen. Ist er zum Punk geworden? Oder der letzte der Irokesen?

Seyfried: Das ist einfach ein Modernisierungsprozeß. Wer läuft denn heute noch so rum wie damals – mit Struwwelkopf und ganz zugewachsen? Aber eine Wehrmachtsfrisur, wie sie bei den Jungen modern ist, wollte ich dem Zwille auch nicht antun. Also hab ich ihm ein bis drei Haare gegeben, das kommt auch im Profil ganz gut und löst gewisse zeichnerische Probleme.

Wieso immer noch der Blaumann?

Na, es ist eine Latzhose, die er trägt. Tragen jetzt auch wieder viele. Er hat ja einen sackförmigen Körper, da ist so was das ideale Behältnis dafür. Manchmal hat er auch Jeans an, aber selten. Man kann ja nicht alles verändern an der Figur.

Aber wer ist er? Woher kommt er? Wohin geht er?

Ich bestimme nie, was Zwille will. Ich zeige immer nur Ausschnitte. Im Grund spielt Zwille die ganze Zeit eher eine Nebenrolle beim Zeichnen, bei den handwerklichen Aspekten, der Stimmung, den ganzen Kleinigkeiten und der Frage, welches Environment ich verwende. Da muß er sich dann durchbewegen. So wie wir durchs wirkliche Leben.

Werner, dem er äußerlich ein wenig ähnelt, oder auch das kleine Arschloch von Walter Moers haben sehr viel aggressivere Überlebensstrategien.

Das sind im Vergleich zu ihm junge Kerle. Zwille war mal ein Kämpfer, hat Steine geworfen, aber vieles ist ihm ausgetrieben worden. Heute verkündet er keine Botschaften mehr, ist eher Fatalist.

Ist Zwille ein Alter ego? Der letzte aus dem Zwille-Milljöh?

Die Figur ist mit mir gealtert und hat viel von mir. Aber identisch ist sie mit ihrem Zeichner natürlich nicht.

Wieso hat Zwille nie Sex?

Vielleicht hat er keine Lust im Moment ... Er hat ja kein sehr erotisches Äußeres, für pornographische Comics und so was ist er nicht der geeignete Hauptdarsteller. Sex, den habe ich in „Future Subjunkies“ gezeichnet, dem Comic, der zusammen mit Ziska entstanden ist. Aber Zwille, der hat nur einmal eine Begegnung mit einer jungen Dame mit Haifischfrisur. Immerhin. Da kann man sich dann was dazu ausmalen.

Als einziges Laster ist ihm das Kiffen geblieben.

Wahrscheinlich weil ich das auch mache. Er war immer schon ein Kiffer, so hat es damals angefangen, und das hört er auch nicht mehr auf. Außerdem wollte ich die Hanfbewegung unterstützen im Kampf um die Legalisierung.

Schauplatz des neuen Bandes ist wieder Kreuzberg. Man erkennt deutlich die Gegend um Görlitzer Park und Lausitzer Platz. Warum so klein, die Welt?

Weil die reicht. Ich muß nicht extra nach Frankfurt fahren, um zu kapieren, was hier abgeht. Es läßt sich alles in dem Kiez darstellen. Außerdem geht Zwille schon ein paarmal raus. Mindestens zweimal verläßt er sogar die Stadt.

In den Osten geht er aber nie.

Doch, das kommt auch vor. In der Titelgeschichte „Miese Zeiten“ kommt er aus Sachsen, der Schweiz Deutschlands, und erzählt, daß es aufwärts geht. Dann kommen all die Leidensmaßnahmen, daß man den Gürtel enger schnallen muß und so weiter.

Man wird den Eindruck nicht los, Zwille sei eine provinzielle Figur, die nicht weiß, wie ihr geschieht, weil aus dem Dorf Kreuzberg eine Stadt geworden ist.

Ja, das mag schon sein. Andererseits ist er ein Großstadtmensch, ist in Berlin aufgewachsen. Meine Erfahrung ist, daß man einfach überrollt wurde. Die Verkehrssituation in Kreuzberg, die vielen Autos, das regt mich am meisten auf, das taucht auch kräftig auf in dem Buch, was du da erlebst, ist einfach unbeschreiblich.

Viele emfinden Kreuzberg inzwischen als verlassene Idylle, in der nicht einmal der Verkehr mehr pulsiert.

Aber die Leute fahren ja ungestraft mit 80 durch die Spielstraßen, es geht völlig drunter und drüber. In der Skalitzer, wo der Verkehr sich verfünfzigfacht hat, ist es buchstäblich unmöglich rüberzukommen für 'ne alte Frau mit Einkaufstaschen.

In der Eröffnungsgeschichte gerät Zwille in die Fänge verbrecherischer U-Bahn-Kontrolleure, die systematisch die Leute ausrauben. In Wirklichkeit leiden die Berliner Verkehrsbetriebe doch an ihrer prämodernen Verfaßtheit: der Berliner Schlendrian geht einfach nicht raus.

Also die BVG hat alles verdient, was ich ihr draufgebe, wenn sie ihre jetzigen Pläne durchsetzt. Aber es ging mir auch mehr um das generelle Feeling, wie du hier abgezockt wirst in der Stadt. Ich kann nur staunen über die Deutschen, was die sich alles gefallen lassen: Steuern, Zuschläge und heimliche Steuern. Steuern zahlt man doch für die Leistungen, die der Staat bringt, und all das baut der ab. Oder verwandelt Dienstleistungen in gewinnbringende Unternehmen, also wozu zahlen wir noch Steuern? Du wirst regelrecht ausgeraubt.

Kann es sein, daß Zwille Verschwörungstheoretiker ist?

Nein, ganz und gar nicht. Er ist Realist. Ich selbst bin ja auch ein Finanzamtsopfer. Mein ganzer Gewinn ging an den Staat. Kein Urlaub, kein Auto, keine neuen Kleider. Leider habe ich nicht die Kohle, um ins Ausland abzuhauen. Es ist nicht schick, darüber zu jammern, aber es stört mich schon.

Andere lesen in solchen Fällen das Buch „1000 ganz legale Steuertricks“.

Ich nicht. Weil ich den Scheiß überhaupt nicht blicke. Und auch nicht durchblicken will – als Künstler.

Könnten Sie nicht längst reich sein?

Bedruckte Unterhosen, Kaffeetassen, die große Vermarktung, ein Film als Zugmaschine – das ist alles nicht mein Fall. Bei mir steht außerdem der Name auf'm Spiel. Und den Schotter tät' sich ohnehin wieder das Finanzamt schnappen.

Stimmt die Geschichte, daß Sie nach ihrem ersten New-York-Flug gleich weitergereist sind – nach San Francisco?

Aus Angst, ja. 4.000 Mark Vorschuß vom ersten Buch hatte ich. Da wollt' ich in die USA, das war das einzige, was mir einfiel, was man machen kann mit soviel Geld, Amerika mal sehen. Also Flug nach New York genommen, hingeflogen, alles schön spontan. Und da mußten wir in der Nacht, zwischen zehn und Mitternacht, über New York kreisen. Stadt, soweit das Auge reicht, von Horizont zu Horizont. Da hab ich Schiß gekriegt. Und mich in New York nicht aus'm Flughafen rausgetraut. Zurückfliegen ging auch nicht wegen Gesichtsverlust und so. Da fiel mir nichts ein, als nach San Francisco weiterzufliegen, in der vagen Hoffnung, dort die Freak-Brothers- Leute zu treffen. Da, bei Gilbert Shelton, war ich dann oft und lang.

Kann man Ihren Beitrag als Importleistung verstehen? In einer Zeit, in der Comics in Deutschland noch verschrien sind, freakige Leute nach US-Vorbild zu zeichnen? Als erster?

Na, ich hab' das praktisch studiert dort drüben, das Comic-Wesen als solches. Das hat sich da über 100 Jahre hinweg entwickelt. Bei uns gab's ja wirklich nur verkümmerte Ansätze, unterbrochen durch Kulturlöcher: Kaiserreich und Nazis. Heute ist das auch hier eine ganz eigene Kultur, fächert sich auf, Leute machen rum und experimentieren, was ja gut so ist.

Verfolgen Sie die neuere Berliner Szene, Zeichner wie OL, Fil, Tom oder Rattelschneck?

Nee, nicht richtig. Ich weiß, wer das ist, find' das auch gut. Ziska hält mich auf dem laufenden. Ich selber geh kaum raus, bin oft tagelang allein. Manchmal bring' ich am Telefon gar kein Wort raus. Weil ich's nicht mehr gewohnt bin.

Die Arbeiten mit Ziska, in denen die Knollennase Cyberpunkfiguren wich – waren das Versuche einer Selbstmodernisierung?

Das wäre ein etwas hochtrabendes Wort. Ich wollte einfach was anderes machen als immer nur Freakadellen und Bulletten, Ziska hat das angefeuert. Von den drei Bänden haben wir nur zwei fertiggekriegt, sie haben sich nicht so gut verkauft, obwohl jetzt doch anständig was weg ist. Vielleicht schließen wir die Geschichte doch noch mit einem dritten Band ab. Es war ein Experiment. Klar, daß Seyfried-Erwartungshaltungen enttäuscht wurden.

Haben Sie eine Vorstellung, wer heute Seyfried-Comics liest?

Von dem her, was ich auf Signierstunden und Comicmessen mitkriege, gibt es ein typisches Generationsloch. Auf der einen Hälfte sind alte 68er, wie sie heute genannt werden, auf der anderen ganz junge Kids, 12 bis 16, höchstens 18. In der Mitte nichts. Von den Jungen krieg' ich Fanpost mit Fragen, wie man Comics zeichnet, wie man reich und berühmt wird. Alle zwei Tage ein Brief, das ist für mich schon 'ne Flut. Die Alten sind mit meinen Arbeiten aufgewachsen und wollen den Jungen zeigen, wie das damals so war.

Kann es sein, daß Sie die Zeit aufhalten wollen?

Nee, glaub' ich nicht. Gut, ich bin Romantiker, sehne mich nach dem 50er-, 60er-Jahre-Deutschland, mit weniger Autos und weniger Lärm. Das ist es doch, was die Städte heute praktisch unbewohnbar macht. Früher, da hab' ich mich als Flüchtling gesehen, der dem konservativen Bayern entkommen ist. So beschissen Berlin ist, es ist doch die einzige Weltstadt, die wir haben. So zerhackt sie ist. Es ist ein Jammer, was sie jetzt draus machen. Interview: Thomas Groß