Häuserwände mit Strahlenmüll gestopft

■ Radioaktive Altlasten, etwa von Uranminen, werden in Rumänien weder kontrolliert noch saniert – Anwohner verwenden strahlenden Gips zum Verputzen

Bukarest (taz) – Das entlegene Dorf in den Ausläufern der rumänischen Westkarpaten, Ciudanoviţa, trägt seinen Namen nicht umsonst. „Seltsames Dorf“ hieß der Ort schon vor mehr als vierhundert Jahren – als noch niemand wußte, daß es hier Uranvorkommen gab. Zutage gefördert wurde es erstmals Anfang der fünfziger Jahre. Seitdem ist Ciudanoviţa für seine Bewohner allerdings kein Ort der Merkwürdigkeiten mehr, sondern ein Ort des Schreckens.

Von Beginn an wurde das Uranerz ohne große Rücksicht auf Menschen und Umwelt gefördert. Zunächst beuteten sowjetische Firmen die Mine aus, seit den sechziger Jahren der rumänische Staat. Bisher wurde das Uran unter anderem für das rumänische Atomkraftwerk in Cernavoda benötigt, dessen bisher einziger Reaktor – vier weitere befinden sich im Bau – mit Natururan arbeitet. Im Rahmen des Wirtschaftsreformprogramms wird die Mine allerdings gerade geschlossen.

Nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu konnten rumänische Medien erstmals über Fälle von radioaktiver Verseuchung wie den in Ciudanoviţa berichten. „Das Dorf, in dem der Weg zum Friedhof mit Uran gepflastert ist“, titelte eine rumänische Zeitung. Bewohner und Bergarbeiter berichteten über den frühen Tod vieler Menschen aus der Umgebung, über behindert geborene Kinder, über Krankheiten, die durch die Strahlung ausgelöst wurden. Radioaktive Abfälle wurden in der Nähe der Mine gelagert oder in den kleinen Fluß gekippt, der durch den Ort fließt und über einen weiteren Fluß in die Donau an der jugoslawisch-rumänischen Grenze mündet. Das Grundwasser ist in der ganzen Umgebung verseucht. Im Krankenhaus, das noch vor 1989 bestand, arbeitet niemand mehr. Ein paarmal im Monat kommt ein Arzt aus der Kreisstadt.

Ähnlich wie in Ciudanoviţa sieht es überall in Rumänien aus, wo Uranminen sind oder radioaktive Abfälle entstehen. Einer der berüchtigtsten Orte heißt in der Öffentlichkeit „das rumänische Hiroshima“ – das Dorf Valea Calugareasca im südrumänischen Kreis Prahova, einem der Industriezentren Rumäniens. Das vor der Schließung stehende Unternehmen „Romfosfochim“ neben dem Dorf Valea Calugareasca hat beim Werk auf riesigen Halden mehrere Millionen Tonnen schwermetall- und phosphorhaltiger Abfälle gelagert – letztere radioaktiv verseucht. Der hochverschuldete Schwerindustriekoloß arbeitet mittlerweile zwar nur noch mit minimaler Kapazität. Doch die Schäden, die er durch die Lagerung der Abfälle angerichtet hat, werden wohl noch Jahrzehnte andauern.

Die Radioaktivität übersteigt das Zwanzigfache der normalen Werte, die Sterblichkeit ist um ein Vielfaches höher als anderswo. Bewohner leiden unter typischen Strahlenkrankheiten: von Haarausfall bis zu Leukämie. Viele Dorfbewohner haben ihre Häuser mit Hilfe von radioaktiven Phosphorgipsrückständen gebaut oder ausgebessert. Regen und Wind haben die Abfälle weitflächig verteilt. Mehrere Quadratkilometer Boden sind völlig verseucht mit Schwermetallen und radioaktiven Phosphorabfällen. Auch die Trinkwasserversorgung der zwanzig Kilometer westlich gelegenen Industriestadt Ploiești ist durch die einsickernden Gifte gefährdet.

Die rumänischen Behörden reagieren auf die Bedrohung mit einer Mischung aus Unwissen, Gleichgültigkeit und Geheimniskrämerei. In den verantwortlichen Ministerien – dem Industrieministerium und dem Umweltministerium – werden Journalisten dutzendfach von Person zu Person durchgestellt. Wenn einer dann überhaupt eine Auskunft gibt, dann die, daß die Uranminen noch der Geheimhaltung unterliegen und erst überprüft werden müsse, ob überhaupt Informationen weitergegeben werden dürften. Ansonsten hat von Maßnahmen zur Sanierung der Schäden noch niemand etwas gehört. Keno Verseck