Sie kommen nicht durch

Niederlage? Nie gehört! „Carla's Song“, eine Revolutionshymne über Nicaragua des britischen Sozialfilmers Ken Loach, macht sich umstandslos die Perspektive der Solidaritätsbewegung der achtziger Jahre zu eigen  ■ Von Bernd Pickert

Nach „Land and Freedom“ über den Spanischen Bürgerkrieg hat sich der britische Regisseur Ken Loach („Riff Raff“, „Ladybird Ladybird“) dem nächsten vergangenen Krieg zugewandt: In „Carla's Song“ geht es um die nicaraguanische Revolution in den achtziger Jahren. Wie in „Land and Freedom“ schickt Loach auch diesmal einen Protagonisten von den Britischen Inseln mitten ins Revolutionsgetümmel.

George, ein untypisch aufmüpfiger Glasgower Busfahrer (Robert Carlyle), verliebt sich in die undurchsichtige Carla (Olyanka Cabezas) aus Nicaragua, die sich ihr Geld verdient, indem sie auf Glasgows Straßen nicaraguanische Folklore singt und tanzt. Sie entwischt ihm ein ums andere Mal, entzieht sich, verschließt sich, trägt ein Geheimnis mit sich herum. Er läßt nicht locker, schließlich kommen sie zusammen, aber die Distanz bleibt. George merkt, daß er nur in Nicaragua wirklich etwas über Carla erfahren kann, und nach einigem Zögern treten sie die Reise gemeinsam an.

Nicaragua Mitte der achtziger Jahre – die Reise führt George und Carla mitten ins Kriegsgebiet im Norden des Landes. George lernt den US-Amerikaner Bradley (Scott Glenn) kennen, einen ehemaligen CIA-Agenten, der jetzt mit den „Witnesses for Peace“ in Nicaragua Menschenrechtsarbeit betreibt. Sie erleben einen schweren Contra-Überfall, und George begreift langsam, was mit Carla und vor allem mit ihrem Freund Antonio geschehen ist, der mit ihr zusammen in einer sandinistischen Agit-Prop-Gruppe Theater spielte und sang. „Vor allem“, hat Ken Loach über den Film gesagt, „ist ,Carla's Song‘ ein Film über die Möglichkeiten zweier Menschen, die beschlossen haben, zusammenzusein. Im Herzen des Films liegt die Reise: die Reise, auf die Carla George mitnimmt – und was er daraus macht.“

Wenn's bloß so wäre. Ken Loach hat, wie er es immer tut, die Szenen in chronologischer Abfolge gedreht. Sobald der Film, also auch das Team, in Nicaragua ankommt, verliert er jede spielerische Leichtigkeit; ab da ist die Message und vor allem die Message.

Dabei ist Loachs Stil der Detailarbeit einmal mehr gelungen. Barry Ackroyd, der seit „Riff Raff“ (1991) bei allen Loach-Filmen die Kamera führt, kommt wiederum fast gänzlich ohne Kunstlicht aus, was den Aufnahmen quasi dokumentarischen Charakter verleiht. Die Szenen auf dem Busbahnhof etwa, wo alles durcheinanderruft und drängelt, Eindrücke, die sich für den spanischunkundigen Europäer zu einem hektischen Geräusch- und Bildergewirr zusammenfügen, die Offenheit, mit der die NicaraguanerInnen auf die „cheles“ zugehen, die Weißen, von denen Mitte der achtziger Jahre Tausende in Nicaragua waren, all das ist trefflich eingefangen.

Nur was Loach die Akteure daraus machen läßt, ist verschenkt. George bekommt auf dem Dach eines Busses bei der Fahrt in den Norden seine Grundeinführung über nicaraguanische Politik von ein paar alten Bauern, die die sandinistische Revolution in den höchsten Tönen loben und die US- finanzierte Contra in ebenso scharfen Worten verdammen. Carla übersetzt schluchzend. Loach kann die Szene gerade noch vor dem völligen Abgleiten in revolutionären Kitsch bewahren, indem er George eine Flasche Whisky aus der Tasche ziehen läßt – die von den Bauern unter Hochrufen auf diese weitere Errungenschaft der Revolution ausgetrunken wird.

Der Film spielt im Jahr 1987. Das zentralamerikanische Friedensabkommen Esquipulas II hatte noch nicht gegriffen, der Krieg war auf seinem Höhepunkt, das von der Revolutionsregierung ausgegebene Jahresmotto lautete „Aqui no se rinde nadie“ – hier ergibt sich niemand. Was die Mehrheit der Bevölkerung von derlei Durchhalteparolen hielt, zeigte sich drei Jahre später in den Wahlen von 1990 – kein Thema für Ken Loach. Der Film stellt überhaupt keine Fragen. „Carla's Song“ ist wie ein filmgewordenes Solidaritätsplakat von 1987: gute SandinistInnen, böse Contras, schöne nicaraguanische Frauen mit schwarzrotem Halstuch und Maschinenpistole, die gar noch revolutionäre Lieder singen und den Yankee-Imperialismus aus ihrem kleinen Land fernhalten wollen.

In Nicaragua selbst ist längst versucht worden – wenngleich zaghaft auf der kulturellen und opportunistisch auf der politischen Ebene –, jene Zeit aufzuarbeiten. Spätestens die Rückkehr der ehemaligen Contra-Kämpfer und ihrer Familien aus dem benachbarten Honduras hat die nicaraguanische Gesellschaft vor die Frage der Versöhnung gestellt – und die SandinistInnen mit der Tatsache konfrontiert, daß das Fußvolk jener US-Marionettenguerilla einfache Bauern waren, die aus den unterschiedlichsten Gründen zur sandinistischen Regierung in Opposition geraten waren.

Bei Loach ist davon nichts zu merken – da sind die Contras nur Folterer und Mörder, und Bradley, der geläuterte Ex- CIA-Agent, hämmert George pathetisch ein, daß all das in den USA erdacht ist. Alles wahr – aber doch nur ein Teil der Wirklichkeit. Der Film reproduziert in einer seltsamen Mischung aus engagiertem Filmemachen und völligem Desinteresse jene verkürzte Sicht, mit der sich die Solidaritätsbewegung der achtziger Jahre die Welt zu erklären versuchte – um dann prompt an der Niederlage zu scheitern.

„Carla's Song“. Regie: Ken Loach. Mit: Robert Carlyle, Olyanka Cabezas. GB 1996, 127 Min.