„Emanzipierte Frau der katholischen Kirche“

■ Moraltheologe Johannes Hoffmann über Mutter Teresas Rolle für Kirche und Politik

Johannes Hoffmann ist Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

taz: Mutter Teresa hat in Kalkutta nur karitativ gewirkt. Die kirchlichen Hilfswerke dagegen propagieren die Hilfe zur Selbsthilfe. War Mutter Teresas Arbeit kontraproduktiv?

Johannes Hoffmann: Nein. Beides steht komplementär zueinander. Die Hilfe zur Selbsthilfe kommt ohne die Caritas, die aktive Nächstenliebe, nicht aus, aber dahinter steht ein entwicklungspolitisches Konzept. Bei der unmittelbaren Hilfe von Mutter Teresa steht die Notsituation des Betroffenen konkret vor Augen. Es heißt, gibst du einem Hungernden einen Fisch, wird er satt, lehrst du ihn fischen, wird er nicht wieder hungern. Der Kontext in Indien ist aber so vielschichtig, daß man in vielen Bereichen ohne unmittelbare Caritas nicht auskommt. Das hat Mutter Teresa gemacht.

Heißt Nachfolge Christi, eher einem Hungernden einen Fisch zu geben, als ihn fischen zu lehren?

Nein, beides ist notwendig. Gerade auch in Indien ist es wichtig, daß die Hilfswerke politisch reagieren und neben der karitativen Arbeit von Mutter Teresa und anderen sich dem Globalisierungsproblem stellen. Auf dieses Problem muß politisch und strategisch reagiert werden. Aber die Hilfswerke bekommen immer weniger Geld vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deshalb sind sie vermehrt auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. Eine solche Bereitschaft entsteht vor allem durch Gestalten wie Mutter Teresa, die vor Ort helfen.

Was ist ihre Bedeutung für Deutschland?

Sie hat dazu beigetragen, daß wir in unserer „Ersten Welt“ ein Bewußtsein entwickelt haben, daß wir zwar keine unmittelbare Caritas für diese Menschen der „Dritten Welt“ selbst leisten können, das aber über solche Menschen wie Mutter Teresa tun können.

Kritiker auch aus der Kirche haben Mutter Teresa vorgeworfen, Spenden auch von Diktatoren genommen zu haben.

Das ist ein großes Problem. Hier im Westen kann ich oft noch auswählen und muß nicht unbedingt von jedem Geldgeber Geld nehmen. Ich kann das für die Situation in Indien nicht einschätzen, aber wenn Mutter Teresa dabei riskiert hat, daß diese Geldgeber versucht haben, sich in ihrem diktatorischen Handeln zu rechtfertigen, dann ist das höchst problematisch.

Mutter Teresa war neben dem Papst der zweite Medienstar der katholischen Kirche. Hat die Kirche das zugelassen, weil sie dem gängigen Bild von Frauen in der Kirche entspricht, die sich auf die Nächstenliebe konzentrieren?

Das glaube ich nicht. Mutter Teresa war eine sehr selbständige Frau und hat eigentlich einen sehr emanzipierten Standpunkt eingenommen, weil sie ihre eigene Idee von ihrem Leben durchgezogen hat. Sie entspricht ja eigentlich eher nicht dem gängigen Bild der Frau in der Kirche, sondern ragt durch ihren Einsatz für die Notleidenden ungeheuer heraus.

War Mutter Teresa eine Heilige?

Der Apostel Paulus nennt alle Gläubigen Heilige. Wenn Menschen das Bedürfnis haben, Mutter Teresa als Heilige zu bezeichnen, sehen sie ihre herausragende Art, wie sie das Evangelium gelebt hat und in die Nachfolge Jesu eingetreten ist und dafür herausragende Anerkennung erfahren hat. Das ist ein Punkt, warum man sie berechtigterweise als Heilige bezeichnet.

Wird sie heiliggesprochen?

Das kann ich mir gut vorstellen. Interview: Bernhard Pötter