Konsum ohne Stil

■ Bis Kleidung im Kaufhaus hängt, legt sie mehr als 19.000 Kilometer zurück.

Die Zeiten, in denen Strümpfe geflickt und Hosen gestopft wurden, sind offenbar vorbei. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Textilindustrie verbrauchte 1994 jeder Deutsche rund 26,1 Kilogramm - dreimal soviel wie der weltweite Durchschnitt (8,1 kg). Die USA lagen mit 26 kg an zweiter Stelle, gefolgt von den Schweizern (21,4 kg), Briten (19,2 kg) und Franzosen (16,9 kg). Unter dem Durchschnitt liegen an sechster Stelle die Brasilianer (7 kg).

Ein Großteil dieser Kleidung wird nach kurzer Tragezeit weggeworfen: Der saisonale Wechsel führt zu immer größerem Textilkonsum, der befriedigt werden muß, will man topmodisch sein. Hauptsächlich Baumwolle sowie Stoffe, die die chemische Industrie produziert, stillen diesen riesigen Bedarf. Nur ein kleiner Teil – gerade mal fünf Prozent – wird aus Wolle hergestellt. Der Anteil an Leinen, Seide und Ramie liegt unter einem Prozent. Oft genügen diese Stoffe den Ansprüchen mancher Konsumenten nicht: Leinen scheuert relativ rasch auf, Seide benötigt viel Pflege, Wolle hingegen löst mitunter Allergien aus und neigt zum Verfilzen.

Seit 1969 hat sich die Weltproduktion von Baumwolle durch neue Bewässerungsmethoden, intensivere Düngung und ertragreiche Sorten verdoppelt. Nicht verdoppelt haben sich aber die Gehälter der Textilarbeiter. Die Kleidung wird fast ausnahmslos in Billiglohnländern wie beispielsweise Indonesien hergestellt – unter katastrophalen Bedingungen. Meist Frauen und Kinder arbeiten für einen geringen Lohn 12 Stunden am Tag an Plätzen, die nicht den Mindestanforderungen technischer Sicherheit entsprechen.

Die textile Produktionskette hat noch weitere brüchige Glieder. So sind Düngemittel, Pestizide und – auf lange Sicht – der erhöhte Wasserbedarf der Baumwollpflanze, der zu Dürrekatastrophen führen kann, für die Umwelt dieser Länder bedrohlich. Probleme gibt es auch mit synthetischen Fasern, hergestellt aus Rohöl wie Polyester, Polyamid und Polyacryl.

Um die Baumwollrohfasern tragbar zu machen, werden sie sogenannten „Veredelungsprozessen“ unterzogen. Jede verkaufsfertige Ware hat dabei mehrere Schritte durchlaufen: mechanische, wie scheren und aufrauhen, und chemische. Baumwolle beispielsweise wird abgekocht, gebleicht und mercerisiert, also mit Natronlauge behandelt, um die Reißfestigkeit und Farbaufnahmefähigkeit zu erhöhen. Sogenannte Hochveredelungsprozesse machen mittels Kunstharzen und Formaldehyd die Baumwolle knitterfrei. In etwas harmloseren Prozessen wie beim Sanforisieren wird das Gewebe mit Wasserdampf erhitzt, um späteres Einlaufen zu verhindern.

Nach diesen Vorläufen wird die Faser nun eingefärbt. Wenig hautverträglich sind dabei aus dem Ausland importierte farbige Textilien, da häufig mit krebserregenden Substanzen behandelt.

Hat ein Stoff nach all diesen Arbeitsschritten seine endgültige Form – beispielsweise als T-Shirt – gefunden, legte er bis zum Ladentisch rund 19.000 Kilometer zurück. Nach einer kurzen Nutzungszeit landet das Shirt dann ausrangiert bestenfalls im Altkleidersack, schlimmstenfalls im Hausmüll.

800.000 Tonnen Altkleider kommen jährlich zusammen. Sehr gute Ware wandert zumeist in Secondhandläden im Inland, andere werden exportiert. Häufig gefährden diese Textilien dann die heimische Produktion jener Länder, da sie Kleidung für den Binnenmarkt nicht so kostengünstig herstellen können. Zerrissene und verschmutzte Textilien kommen in die Recyclingindustrie, die daraus beispielsweise Dämmstoffe und Innenausstattungen für Autos herstellt. Bisherige Konzepte zur Wiederverwertung von gebrauchter Kleidung sind also eher eine Wertminderung der Textilie. Dabei wird es wohl auch bleiben, solange Massenkonsum vor überlegtem Einkauf steht. Eva Blank