■ Europa und die Linke (8): Eine Linke, die den Euro gegen die BürgerInnen durchsetzen will, gibt ihre Grundsätze auf
: Warum kein Referendum?

Bei einem Teil der Bündnisgrünen hat in der Europadebatte ein schleichender Positionswechsel stattgefunden, ohne daß dieser in der Partei richtig reflektiert worden wäre. Noch vor wenigen Jahren wurden angesichts des offensichtlichen Demokratiedefizits der europäischen Institutionen ein demokratisches „Europa der Regionen“ eingeklagt und eine Dezentralisierung von Machtentscheidungen gefordert. Inzwischen haben die Aversionen gegen das „Europa der Konzerne“, gegen die „Superbürokratie“ in Brüssel und die „verschwenderische Agrarpolitik der EU“ einer zähneknirschenden Zustimmung zum Maastrichter Vertrag Platz gemacht. Von Fischer bis Trittin, von Cohn- Bendit bis Sager hört man ein Ja zum Euro, der nach dem Willen der Regierungen zum Herzschrittmacher der EU werden soll.

Aus der Perspektive einer demokratisch-republikanischen Politik stellt sich allerdings die Frage, wieviel ein Europa wert ist, das in erster Linie durch den Euro zusammengehalten werden soll, bei den BürgerInnen aber zunehmend auf Mißtrauen stößt. Erst die Ökonomie, dann die Politik und die Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität? Auch die geläuterte Linke bei den Bündnisgrünen, die zu Recht aufpassen muß, nicht in den antiinstitutionellen Gestus der Vergangenheit zurückzufallen, umgeht bisher geflissentlich die Frage, warum die BürgerInnen nicht durch ein Referendum selber das letzte Wort haben sollten. Ein Referendum hätte den Vorteil, daß öffentlich über die Vor- und Nachteile von Maastricht gestritten werden müßte. Die politischen und ökonomischen Eliten haben bisher versucht, in einer Art stillem Konsens den Euro an den BürgerInnen vorbei voranzutreiben. So wären sie zum ersten Mal gezwungen, zu argumentieren, statt zu dekretieren.

Die Verfassungshürden für ein Referendum in Deutschland können natürlich nicht einfach beiseite geschoben werden, aber hier geht es in erster Linie um Politik. Da auch innerhalb der Volksparteien die Bruchstellen in dieser Frage groß sind, wie die von Voscherau losgetretene Debatte zeigt, könnte es durchaus auch im Sinne von SPD und CDU sein, sich dem Euro nicht ohne Wenn und Aber zu verschreiben, sondern sich durch ein Plebiszit entweder die notwendige Zustimmung einzuholen oder aber den bisherigen Fahrplan zu überdenken bzw. zu modifizieren. Wie wenig zwingend die bisher ins Feld geführten monetären Sachzwänge für die fahrplanmäßige Einführung des Euro sind, zeigen nicht zuletzt die jüngsten Äußerungen des obersten Währungshüters Tietmeyer.

Doch statt „Elemente plebiszitärer Demokratie“, mit der die Linke sonst schnell zur Hand ist, für den Euro zu fordern, ist die Linke dabei, sich statt dessen zum Anhängsel der in den politischen und ökonomischen Eliten vorherrschenden Euro-Logik zu machen. Offensichtlich ist zuviel Demokratie mittlerweile auch unter einem Teil der aufgeklärten Linken anrüchig geworden, hört man doch zuweilen hinter vorgehaltener Hand, man wüßte schließlich nicht, wie die Leute in einer so emotionalen und hochkomplexen Frage abstimmen würden – so, als ob der Souverän in dieser Frage zur Unmündigkeit verdammt werden müßte.

Gewichtiger für den Positionswechsel innerhalb der Bündnisgrünen aber ist ein anderes Argument, das in allen skeptischen Aber-dennoch-Begründungen für den Euro zum tragen kommt: die Angst, daß Deutschland wieder in nationale Alleingänge zurückfallen könnte. Europa wird so zu einer ungenauen Chiffre der Angst eines von Deutschland dominierten Mitteleuropa. Deshalb ist man bereit, den Euro und die demokratischen Defizite des Maastrichter Europa in Kauf zu nehmen, und begnügt sich – in einer etatistischen Denkungsart, in der das Politische mit dem Staat identifiziert wird – mit der vagen Hoffnung, daß am Ende des Euro eine gemeinsame europäische Staatlichkeit stehen könnte (so Robert Misik in seinem taz-Beitrag vom 28.8.).

Institutionen, die europäische Staatlichkeit verkörpern, gibt es aber bereits jetzt zur Genüge. Sie leiden bekanntlich nur an einem entscheidenden Defizit: an ausreichender Legitimation und Kontrolle durch die BürgerInnen. Selbst wenn man nicht allen Argumentationsfiguren der Euro-Kritiker Brumlik und Gysi (taz vom 19. und 26.7.) folgen muß, so läßt sich doch der Kern ihrer Einwände nicht einfach wegdiskutieren: „Die europäische Einigung wird“, wie Brumlik zu Recht schreibt, „von den politischen Klassen und Eliten gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt.“ Und auch Gysi hat recht, wenn er argumentiert, daß mit der Durchsetzung von Maastricht eine weitere Verschiebung von der Legislative zur Exekutive stattfindet. Solange es keine europäische Verfassung und keinen gemeinsamen politischen Raum in Europa gibt, wird zwangsläufig das Prinzip der Machtteilung und der demokratischen Teilhabe geschwächt.

Europa als politischer Raum, als kulturelle Identität und Heimat, kommt auch in den Debatten der deutschen Linken allenfalls noch als rhetorische Floskel vor. Man hat sich – ganz im Sinn der Argumentation von Misik – längst mit der „ökonomischen Faktizität“ arrangiert. Dabei droht die Frage, wie ein Europa jenseits des Euro aussehen soll, hinter den Zwängen „der monetären Vernunft“ zu verschwinden. Was aber ist, wenn Europa als ökonomisches Konstrukt nicht trägt, die sozialen Versprechen nicht eingelöst und die nationalen Eigensinnigkeiten sich unterschwellig Bahn brechen? Jene, die sich jetzt vor dem Populismus fürchten, werden dann erst recht von den Populisten eine Lektion darin erteilt bekommen.

Müssen wir uns also der gegenwärtigen Logik der europäischen Integration zwangsläufig beugen und versuchen, das Beste daraus zu machen? Ist der Nationalstaat tatsächlich ein Auslaufmodell, das über kurz oder lang durch supranationale Institutionen ersetzt wird? Welche Konsequenzen hat die Verschiebung nationaler Entscheidungen auf supranationale Institutionen für das Modell des demokratischen Verfassungsstaates, das 200 Jahre lang auf den Imperativen von Nationalstaat, Volkssouveränität, Öffentichkeit und repräsentativer Demokratie aufgebaut war? Bevor solche grundsätzlichen Fragen nicht in öffentlicher Diskussion erörtert und abgewogen worden sind, gibt es keinen Grund, in den Chor der Euro-Protagonisten ohne weiteres einzustimmen. Mit einem Europa, das als Angstprojekt vor Deutschland konstruiert ist, werden sich die BürgerInnen kaum identifizieren. Lothar Probst