Tadschikistans oberster Geistlicher entführt

■ Oppositionsgruppe will ihren in der Hauptstadt inhaftierten Anführer freipressen

Berlin (taz) – Kaum hat Tadschikistans Präsident Emomali Rahmonow die Revolte seines Obersts Khudojberdjew überstanden, hat er schon wieder Ärger mit einem Warlord. Diesmal ist es der Feldkommandeur Bahrom Sadirow von der islamischen Opposition, der seit Februar in der Hauptstadt Duschanbe inhaftiert ist. Seine Anhänger haben nun den Qozi-Kalon („Großrichter“) Hadschi Amonullah Nematzode (57), den obersten muslimischen Geistlichen der Republik, entführt und verlangen die Freilassung ihres Anführers. Ihr Ultimatum lief am Samstag ab, ohne daß Sadirow freikam. Inzwischen gelang es der Regierung nach eigenen Angaben aber, Kontakt zu den Entführern herzustellen.

Am Donnerstag hatte Radio Duschanbe gemeldet, Sadirow werde demnächst wegen Geiselnahme und Banditentum der Prozeß gemacht. Er hatte im Februar mehrere UN-Beobachter sowie russische Journalisten entführen lassen und erfolgreich die Zusammenführung mit in Afghanistan lebenden Mitgliedern der Gruppe verlangt.

Der jetzt verschleppte Geistliche Nematzode war am Mittwoch abend zum letzten Mal in seinem Haus am Rande von Duschanbe gesehen worden. Bereits vor einem Monat hatte Sadirows Gruppe Nematzodes beide Söhne gekidnappt. Regierungskreise vermuten nun, daß der Großrichter Kontakt zu den Entführern hergestellt hatte, um seine Kinder freizubekommen, und daß er dabei selbst entführt wurde.

Muslimische Großrichter in Tadschikistan leben gefährlich. Der erste in dem Amt nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik 1991, Hadschi Akbar Turadshonzode, hatte im 1992 ausgebrochenen Bürgerkrieg zu vermitteln versucht. Dabei geriet er ins Visier der regierungsnahen „Volksfront“-Miliz. Er mußte daraufhin außer Landes fliehen, wo er sich der Opposition anschloß. Sein Nachfolger Fahullo Khon Scharifzode wurde 1995 ermordet. Auf ihn folgte der jetzt entführte Nematzode. Thomas Ruttig