Leipziger Messe im Sumpf

Das staatliche Prestigeobjekt der Sachsen ist in den roten Zahlen und hat kein tragendes Konzept. Untersuchungsausschuß eingesetzt  ■ Aus Leipzig Robin Alexander

Die Leipziger Messe ist ein Erfolg, auch wenn dieser Erfolg nicht so groß ist, wie vor fünf Jahren erwartet“, schreibt Hinrich Lehmann-Grube, Oberbürgermeister von Leipzig, in einem Brief an wichtige Kunden der Messe seiner Stadt. Die Beruhigung der Aussteller ist notwendig, denn die selbsternannte „Mutter aller Messen“ hat einen Krisensommer hinter sich. Der hat nun ein herbstliches Nachspiel: Ein „Akteneinsichtsausschuß“ des Leipziger Stadtrates sichtet ab Montag die Unterlagen der Leipziger Messegesellschaft.

Im Juni gab die Leipziger Messe eine Bilanzpressekonferenz. Eigentlich reine Routine, doch Messe-Chefin Cornelia Wohlfahrt überrascht die Journalisten: Ein „zusätzlicher Finanzbedarf“ von 340 Millionen Mark bis 1999 hat sich aufgetan. Der Verkauf von vier alten Messehäusern in der Leipziger Innenstadt ist gescheitert. Diese Immobilien sollten den Neubau von „Europas modernstem Messegelände“ (siehe Kasten) finanzieren. Der veranschlagte Erlös von 150 Millionen Mark kann jedoch auf dem überreizten Leipziger Immobilienmarkt nicht erzielt werden. Außerdem ist der Aufbau eines „Order- und Creativ-Modezentrums“ gescheitert. Die Verluste summieren sich mit den Verlusten einer Tochtergesellschaft auf 60 Millionen Mark. Das Projekt „Modezentrum“ wurde kurzerhand zum „China-Trade-Center“ umdeklariert. Seit Mitte August heißt die gleiche Unternehmung nun „Internationales Handelszentrum“. Mit einer „Anlaufphase von zwei bis drei Jahren zur vorbereitenden Marktbearbeitung“ wird gerechnet.

Die eigentliche Krise ist jedoch struktureller Natur. 30 bis 40 Millionen Mark verliert die Leipziger Messe jedes Jahr im „operativen Geschäft“, also im Ausstellungsalltag. Bezahlt wird dies aus Steuergeldern, denn Leipzig und der Freistaat Sachsen sind die einzigen Gesellschafter. Eine Verringerung des jährlichen Defizits sehen Experten auch auf lange Sicht nicht. Im Gegenteil, denn noch lockt das neu gebaute Gelände Aussteller nach Sachsen. Dieser Bonus wird bald verbraucht sein. Die Konkurrenzmessen in Hannover, Berlin und anderswo modernisieren mit enormem Kapitalaufwand.

„Die Alternative wäre der Konkurs“, erklärt am 11. Juni Oberbürgermeister Lehmann-Grube, der als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von den Verlusten erst durch Journalisten erfahren haben will. Sein Konzept gegen das Defizit: Die bisher unbelastete Messe nimmt einen Kredit über 140 Millionen Mark auf, der Rest kommt vom Steuerzahler. Die Stadt Leipzig soll auf Kreditzinsen verzichten und Bareinlagen in Millionenhöhe machen. Auch der Freistaat Sachsen soll Millionenbeiträge beisteuern, um die Liquidität der Messe zu sichern. Dafür verkauft die Stadt Anteile am Flughafen Leipzig/Halle an den Freistaat. Zusätzlich überschreibt Leipzig Grundstücke an die Messe. „Das muß alles noch feingerechnet werden“, grummelt Karl-Joachim Schommer, Finanzminister in Sachsen. Ernsthafter Widerstand gegen den Mitteltransfer ist von der Landesregierung nicht zu erwarten, da doch der Finanzminister selbst Aufsichtsratsvorsitzender der angeschlagenen Messe ist.

„Der scheinbar so unproblematische Ausgleich der Verluste und Fehlinvestitionen ist der neueste Akt der Täuschung und Verdummung der Steuerzahler“, wettert hingegen Lothar Tippach. Er sitzt für die PDS im Akteneinsichtsausschuß und beklagt die mangelhafte parlamentarische Kontrolle der Messegesellschaft. „Wir sollen zahlen, wissen bis jetzt aber gar nichts!“ Auch jenseits der Opposition weicht die Begeisterung für die Geschäfte in den futuristischen Glaskuppeln vor der Stadt. Das neue Gelände war lange Zeit das Symbol des Aufschwung Ost. Ein zukünftiges Kernstück neuer Wirtschaft in der entindustrialisierten Region zwischen Leipzig und Halle. Einhellig priesen Politiker und Medien die Entscheidung zum Neustart 1996. Zu viele Versprechen konnte die Messe bisher nicht einhalten. Auf dem 52 Hektar großen Gelände der weltberühmten DDR-Messe sollte ein neuer Stadtteil entstehen. Doch aus hochtrabenden Plänen wie einem Medienpark oder gar einem „World-Trade-Center“ wurde nichts. Schließlich mußte die Stadt das leere Areal für 250 Millionen Mark übernehmen.

Auch im Ausstellungsgeschäft hapert es. Die gerade beendete Modemesse etwa besuchten zehn Prozent weniger Anbieter als im Vorjahr. Die für September geplante Medienmesse „europrom“ entfällt gar völlig. Ein Messesprecher lakonisch: „Eine Flop-Rate von 50 Prozent bei neuen Messen ist üblich.“ Lediglich Konsum- Schauen wie die Automesse und Großveranstaltungen wie der Evangelische Kirchentag füllen die Hallen. Die Bündnisgrünen und die PDS im Untersuchungsausschuß hoffen nun, die „strafrechtlich verfolgbaren Untreuehandlungen“ aufzudecken.