Pop, komm raus...
: Die bespielte Stadt

■ Popkomm und die Folgen: Auch Köln hatte seinen Ausnahmezustand

Zum „Event des Jahres“ wurde im Rahmen der Viva- Gala die Berliner Love Parade gekürt – an der man praktischerweise die Senderechte besitzt –, aber ist nicht eigentlich die Popkomm mit ihren die gesamte City überwuchernden Ereignis-Ablegern die modernere Angelegenheit? Fragt man sich nach vier Tagen, in denen die Stadt Köln „die wohl größten verkehrstechnischen Sperrungen und Umleitungen ihrer Geschichte“ erlebte, wie es die lokale Tageszeitung nicht ohne Stolz formuliert.

Ja, auch und gerade im Rheinland kennt man den Ausnahmezustand! Über zwei Millionen sollen im Umfeld der Messe herangebrandet sein, um in Clubs oder auf einem der Innenstadtringe umsonst & draußen Pop zu erleben und Bier zu trinken, darunter Horden von Teenagern, deren entschiedenem Ausflippwillen behördlicherseits mit Energiespendern und kostenlosen Schokoriegeln begegnet wurde.

Schon tauchen die ersten Diskussionen um Müll und fliegende Händler auf, wie man sie von Berlin her kennt. Aber irgendwie scheint die Kölner Logistik besser zu schnurren, die Anteilssicherung zwischen Stadt, Industrie, Medien und dem verzweigten Netz der Pächter und Unterpächter rheinisch- katholisch-abgeklärter (vielleicht auch: SPD-regierter) vonstatten zu gehen. Vor allem aber: Es gibt keinerlei „Inhalt“ mehr zu verteidigen, nicht einmal ein so minimaximales Motto wie „Let the sun shine in your heart“ – das wird meteorologisch vorausgesetzt.

Vielleicht ein kleiner Schritt für Köln, aber ein großer für das Festivalwesen. Vorsprung durch Teilung: Wo die Love Parade noch auf der aristotelischen Einheit von Ort, Raum, Zeit und kommerzieller Verwertung insistiert, hat sich der Erlebnisraum hier in eine Vielzahl von Subevents aufgespalten, in denen, frei nach der Devise, jeder Jeck sei anders, verschiedenste Bedürfnisse abgedeckt werden. Und während die auf immer mehr Menschen in einer Traube fixierte Love Parade bislang einem eher linearen Wachstumsbegriff verhaftet blieb, bietet die bespielte Stadt ein perfektes Abbild jener großen Diversifizierung, die die Branche seit dem Ende der großen Trends ergriffen hat. Die erste Popkomm-Tote, eine 21jährige, die beim flankierenden Bizarre-Festival einen Kreislaufkollaps erlitt, ist da nicht mehr als ein Fall für die Statistik: Wo so viele dezentral beisammen sind, passiert an irgendeiner Ecke immer was. Gerade auch bei den Temperaturen!

Fast scheint schon keinen mehr zu interessieren, was auf der eigentlichen Messe so verhandelt wird, wo in diesem Jahr – von der versuchten Verkuppelung von Pop und Politik einmal abgesehen – auch wenig Neues geboten war. Die Technik-Hypes interessieren keinen Menschen mehr, längst ist die digitale Welt pragmatisch entzaubert. Auch dürfte es keinen Popgewerbetreibenden mehr gegeben haben, der im neunten Popkomm-Jahr nicht mit den denkbar nüchternsten Vorstellungen hinsichtlich des eigenen Busineß in seiner Kabine hockte, Bier trank oder Socializing betrieb – was immerhin den Vorteil hat, daß auch die großen Beschwörungsformeln des Kongreßteils („Kreativität“, „Inhalte“, „Gemeinschaft“ etc.), die den nackten Handel und Wandel bis Mitte des Jahrzehnts noch irgendwie ummäntelten, sich in strahlende Illusionslosigkeit aufgelöst haben. Gerade mal zwei Panels beschäftigten sich noch mit ästhetischen Trends, das eine mit Drum'n'Bass, gern als „Musik des nächsten Jahrtausends“ bezeichnet (verkauft aber nicht wirklich), das andere mit deutschem Country (verkauft schon besser). Der Rest: Rechte, Steuern, Marktlizenzen.

Same procedure as every year, nur substantiell noch heruntergefahrener. Es ist, als hätte man sich bei gewachsenem Fachbesucherandrang (15.000) darauf beschränkt, das darzustellen, was die Gorny-Erben Uli Großmaas und Ralf Plaschke „Kernkompetenz“ nennen. „Sie bildet“, heißt es im Kataloggrußwort, „ein solides Fundament, kreativ und ökonomisch erfolgreich in einem sich rapide wandelnden Szenario zu bestehen.“

Das allerdings klingt schon fast beschwörend. Man scheint es irgendwie nicht fassen zu können, daß alles so lange gutging, daß bei allgemeiner Rezession die Phonoindustrie bis heute glimpflich bis glänzend davongekommen ist – und das, obwohl der Großteil der musikalischen Software aus der Revival-Kiste kommt, Trends immer unplanbarer werden, und die „emotionale Ware“ Popmusik im Event-Marketing zu verschwinden droht. Ja, merkt der Verbraucher das denn nicht? Oder findet er's gerade gut? „Uns geht's gold“, heißt es im Katalog, aber ein wenig kapitalistische Planwirtschaft wäre nicht verkehrt. „Ansonsten wächst bzw. schrumpft man Schicksals-ergeben mit den konjunkturellen Zyklen.“

Der Gedanke, daß die ganze Popkomm nichts weiter ist als ein Fenster, in dem die Naturwüchsigkeit der phonographischen Industrie sich ein paar Tage zeigt und befetet wird, als könne man sie wirklich steuern, hat indes auch etwas Beruhigendes. „Zyklen“ kommen, „Zyklen“ gehen. Vielleicht hockt Nipper, der EMI- Firmenhund, deswegen allein in einem riesigen, abgesperrten Messestand und hört aus einem einzelnen Fernseher „his master's voice“. Die Botschaft: Statt zu kommunizieren, genügt es im Grunde zu repräsentieren. Ein Schritt hin zu noch mehr Transparenz im internationalen Geschäftsgebaren. Aber irgendwie auch zur Verüberflüssigung der Popkomm. Thomas Groß