Sprache als Naturrecht?

■ Die Reform läßt sich nicht per Gesetz erzwingen

Rechtschreibung hat nichts mit Recht und Gesetz zu tun. So lautet der Tenor der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Schleswig, mit der gestern die Rechtschreibreform bestätigt wurde. Erstmals ist eine Klage von Reformgegnern in zweiter Instanz verhandelt – und zurückgewiesen worden. Das Gericht verabschiedete sich damit insgeheim von der Rechtschreibung als justitiablem Gegenstand. Daß Rechtschreibung nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln beruht, läßt sich unschwer nachvollziehen. Schwieriger schon, daß das Schleswiger OVG auch die Zuständigkeit des Gesetzgebers und der Parlamente verneinte: Sprachliche Normen dürften nicht vom Willen „kurzfristig wechselnder Mehrheiten in Parlamenten“ abhängen, sondern von langfristiger „allgemeiner Akzeptanz“.

Soweit liest sich die Begründung des Gerichts ganz ähnlich wie die Argumentation der Reformgegner. Auch sie berufen sich ja auf eine ungreifbare Allgemeinheit und wollen Sprache aus staatlicher Verregelung herauslösen. Was das Gericht als langfristige Akzeptanz bezeichnet, heißt bei ihnen Tradition: Sprache ist etwas naturhaft Gewachsenes und verändert sich organisch aus sich heraus. Doch wo die Reformgegner aus ihren Mystifizierungen ein allgemeines Fummelverbot und Reinheitsgebot für die deutsche Sprache ableiten, zieht das Schleswiger OVG andere Schlüsse. „Allgemeine Akzeptanz“ ergibt sich demnach aus der „innerstaatlichen und fachlichen Kompetenz der Normgeber“, und das sei in diesem Fall die Kultusministerkonferenz. Außerdem werde die Rechtschreibreform in Deutschland „traditionell als staatliche Aufgabe“ verstanden – womit, was zu klären wäre, einfach vorausgesetzt wird. Daß nach Umfragen etwa 75 Prozent der Bevölkerung gegen die Reform sind, ist für das Gericht kein Argument: „Die Vertretbarkeit der positiven Akzeptanzprognose wird indes durch bloße Zweifel nicht erschüttert“, heißt es in reformbedürftigem Juristendeutsch. So zeigt das Schleswiger Urteil die Arroganz eines Gerichts und die für eine parlamentarische Demokratie nicht ganz unproblematische Erkenntnis, daß ausgerechnet die Sprache kein Gegenstand fürs Parlament sein soll. Und was Akzeptanz ist, bestimmen im Zweifelsfall die Kultusminister. Jörg Magenau