Kurt Scheels Lichtspiele
: Zornesfrüchtchen

■ Kritisch-solidarisches Hinterfragen von Film-im Film-Filmen

Filme übers Filmemachen gibt es wie Sandsäcke im Oderbruch, des Cineasten generelle Begeisterung darob („selbstreflexiv!“ „diskurssubversiv“!) soll hier in kritischer Solidarität hinterfragt werden. Denn wie das ist im Kino bzw. im wirklichen Leben: Man hüte sich vor Pauschalurteilen, Milchknabenrechnungen, Patentrezepten – manche dieser Film-Filme sind so, andere aber so. Es kömmt, wie immer, auf die Einzelfallprüfung an.

Um mich gleich unmöglich zu machen: Ziemlich schwer erträglich finde ich Fellinis „Achteinhalb“ – das Getue darüber, daß jemand keinen Film zustande bringt, und das ist dann der Film. Eine ziemlich verbreitete Männerphantasie, wenn Sie mich fragen: die große Impotenzklage als Potenzbeweis. Deswegen ist „Achteinhalb“ zu einer Ikone der Filmkunstfraktion geworden, ihre Idealvorstellung ist und bleibt der Roman, der die Unmöglichkeit des Schreibens eines Romans beschreibt, und der erscheint dann bei Suhrkamp.

Oder Wenders' „Der Stand der Dinge“: Der Regisseur als der Heilige, der von einem faschistoiden Hollywoodsystem um die Früchte des Zorns und der Sehgewohnheitenveränderung gebracht wird durch bezahlte Killer, nur weil er einen Schwarzweißfilm und keinen Buntfilm drehen wollte! Bei aller Sympathie für den „American way of life“: Das geht denn doch ein bißchen weit!

Es ist wie im wirklichen Leben: Das Pack triumphiert, die Guten müssen sterben: Jack Palance in „The Big Knife“, ein Star, der endlich einmal in künstlerisch besonders wertvollen Filmen spielen will und vom oberfiesen Produzenten Rod Steiger praktisch-faktisch in den Selbstmord getrieben wird. Oder die arme Kim Novak in „The Legend of Lylah Clare“: Sie plumpst vom Trapez, weil ihr besessener Regisseur, gehetzt vom Produzenten, ihr keine Atempause gönnt, und dann dreht dieser Maniac, wenn sie in der Manege im Sterben liegt, einfach weiter – und die Clowns weinen!

What Price Hollywood?

Film ist Geschäft, knallhart und gnadenlos! Diese profunde Wahrheit wird furchtlos verkündet, und fast könnten einem die Stars, Regisseure, Drehbuchschreiber (Godards „Le Mépris“!) leid tun, die in dieses unmenschliche Metier verschleppt wurden. „What Price Hollywood?“ fragt George Cukor – „too much high“, möchte man da als gemeiner Kinogänger antworten, schaudernd, aber auch ein bißchen erleichtert, denn so schlimm, nicht wahr, geht es ja nicht einmal an Ihrem Arbeitsplatz zu.

Glücklicherweise gibt es aber auch Film-Filme, die etwas weniger plakativ, etwas diskreter mit dem Thema umgehen, Truffauts „Die amerikanische Nacht“ oder „Die Geliebte des französischen Leutnants“ von Karel Reisz. Sie wollen nicht die Schlechtigkeit der Welt im allgemeinen und des Filmgeschäfts im besonderen beweisen, sondern bringen in ironischer Weise die komischen und die traurigen Verschlingungen von Leben und Film, von Realität und Phantasie zur Vermählung.

Noch schöner sind die Komödien „Boy Meets Girl“ von Lloyd Bacon und „Sullivan's Travels“ von Preston Sturges: James Cagney als Drehbuchautor, der es mit Frechheit und einem entzückenden Tänzchen schafft, seinem Produzenten ein ungeborenes Baby als neuen Star anzudrehen; Joel McCrea als Hollywoodregisseur, der diese leichten, oberflächlichen (und sehr erfolgreichen) Komödien satt hat und endlich einmal etwas Anspruchsvolles, ethisch Bedeutsames machen will – einen Film wie „Oh Bruder, wo bist du?“, der „eine moralische Botschaft hat, soziale Relevanz“, wie der Regisseur schwärmt.

Nichts gegen moralische Botschaften, wenn sie denn so witzig und abgründig dargeboten werden wie hier: Alles geht natürlich furchtbar in die Hose, und viel mehr als das Lachen bleibt dem Regisseur nicht, wenn er schließlich als Kettensträfling einen Micky-Maus- Film sieht und diese Lektion jedenfalls gelernt hat: Einen Lacher soll man nie verachten.

Stinky Miller, sofort nach Hause!

Und deswegen sind die allerschönsten Film-Filme die grotesken, verrückten, haltlosen, die das pathetische Thema in Trümmer zerlegen („dekonstruieren“): W.C. Fields' „Never Give a Sucker an Even Break“ und „Hellzapoppin“ von H.C. Potter, mit Ole Olson und Chic Johnson und mit Stinky Miller, der den Film leider nie zu Ende sehen wird. Denn plötzlich ist da ein Insert: „Stinky Miller, deine Mutter hat gesagt, du sollst sofort nach Hause kommen!“ – und Stinky verläßt tatsächlich das Kino, das wir nun auf der Leinwand sehen, während wir sitzen bleiben und uns vor Lachen und Entzücken (und Selbstreflexivität!) gar nicht mehr einkriegen.

Kurt Scheel