„Im Dornröschenschlaf erstarrt“

■ Franz Lehner (51), Präsident des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik, über die Zukunft der Arbeit in Deutschland

taz: Aus Nürnberg wurde gestern ein neuer Nachkriegsarbeitslosenrekord gemeldet. Gleichzeitig glaubt das Ifo-Institut Anzeichen für eine Wende im nächsten Jahr erkannt zu haben. Teilen Sie diesen Glauben an eine Trendwende?

Franz Lehner: Nein. Ich erwarte, daß die deutsche Wirtschaft die Tendenz der letzten Jahre fortsetzt und die Beschäftigung trotz Umsatzsteigerungen abbaut. Im harten Wettbewerb wird der höhere Umsatz durch Produktivitätssteigerungen und nicht durch Beschäftigungszuwächse erreicht. Diese vom Wettbewerb erzwungene Entwicklung geht weiter.

Der Export boomt. Die DM- Schwäche sorgt für zusätzlichen Drive. Müßten da nicht neue Jobs entstehen?

Es kommt schon ein bißchen was hinzu, aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was noch an anderen Stellen wegrationalisiert werden kann. Das Grundproblem ist, daß wir viel zu sehr in alten Märkten aktiv sind. Wenn wir diese Misere überwinden wollen, müssen wir mit neuen Produkten in neue Märkte einsteigen.

Nun wird erneut über die Wochenarbeitszeit gestritten. Die IG Metall will die 32-Stunden-Woche, die meisten Wirtschaftsverbände ein Zurück zur 40-Stunden- Woche. Hängt die Trendwende am Arbeitsmarkt auch vom Ausgang dieses Streites ab?

Nein, denn die Wochenarbeitszeiten des einzelnen Arbeitnehmers sind für die zukünftige Beschäftigungssituation ebensowenig entscheidend wie die Arbeitskosten. Wichtig ist, daß wir in allen Bereichen endlich die Innovationsschwäche beheben. Wie das geht, exerzieren uns doch die Amerikaner vor, die seit Jahren viele hochqualifizierte und gutbezahlte Jobs geschaffen haben.

Wo liegen bei uns die Defizite?

Wir sind zwar technisch hochkompetent, doch wenn es um die Kommerzialisierung geht, haben wir Probleme. Faxgeräte und Handys sind deutsche Erfindungen, aber beide Entwicklungen wurden nicht bei uns kommerziell zum Erfolg gebracht. Diese Umsetzungsschwäche ist wesentlich ein Resultat der mangelnden Risikobereitschaft in Wirtschaft und Politik. Neues zu probieren und Wagnisse einzugehen, steht hierzulande nicht hoch im Kurs.

Trägt dabei die Politik die Hauptverantwortung?

So einfach ist es nicht. Die Politik schiebt zwar einen skandalösen Reformstau vor sich her, aber das schlimme ist, daß die Gesellschaft insgesamt nicht viel besser ist. Wir bewegen uns alle viel zu sehr entlang der bekannten Trampelpfade. Das gilt auch für die Wissenschaft und das Gros der Universitäten. Es ist ja gerade deshalb so schwierig, weil praktisch alle relevanten Kräfte im Dornröschenschlaf erstarrt sind.

Was wäre politisch am dringendsten zu tun?

Erstens muß die Forschungs- und Technologiepolitik viel stärker auf neue Produkte und neue Märkte umgestellt werden. Zweitens gilt es, die staatliche Nachfragemacht systematisch zur Entwicklung von Leitmärkten für neue Produkte zu nutzen. Drittens geht es um eine Veränderung der staatlichen Regulation – etwa im Umweltbereich –, um Innovationszwänge und -anstöße in die Wirtschaft zu vermitteln. Es war ein großer Fehler, daß der Keynesianismus in Deutschland quasi wie ein altes Kleid abgelegt worden ist, statt die Nachfrage- und Regulationsmacht des Staates als Innovationsquelle zu nutzen. Die Amerikaner machen das genaue Gegenteil.

Trauen Sie der jetzigen Bonner Opposition zu, die Versäumnisse der Bundesregierung wettzumachen und eine zukunftsträchtigere Richtung einzuschlagen?

In dem Maß, wie sich die Opposition bereit findet, echte Alternativen zum Neoliberalismus der Bonner Koalition zu entwickeln, besteht Anlaß für begrenzte Hoffnung. Gegenwärtig sind solche Alternativen aber kaum in Sicht. Interview: Walter Jakobs