Erinnern am Ort der Nazitäter

Jahrzehntelang waren die Nürnberger ratlos, wie sie mit dem NS-Reichsparteitagsgelände umgehen sollten. Jetzt liegt ein Konzept für ein Dokumentationszentrum im Nazi-Kongreßzentrum vor  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Tiefgezogene Betondecken, kahle Backsteinwände und jede Menge Schutt und Staub auf den Böden. Seit die Turmdrehkräne im Winter 1942 zum Bau der IG-Farben-Werke nach Auschwitz abgezogen worden sind, ist im Nordflügel der Kongreßhalle auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg nichts mehr gebaut worden. Jetzt, nach 55 Jahren Ratlosigkeit im Umgang mit dem monumentalen steinernen Erbe der Nazis, liegt ein Konzept für ein Dokumentationszentrum vor, das gute Chancen besitzt, bis zum Jahr 2000 realisiert zu werden. Am „Ort der Täter“ soll dann eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seiner „Faszination und Gewalt“ stattfinden, so der Leiter der Museen der Stadt Nürnberg und Ideengeber, Franz Sonnenberger.

„Wir stellen uns der Geschichte“, bekennt stolz Nürnbergs CSU-Oberbürgermeister Ludwig Scholz angesichts der neuen Pläne für ein Dokumentationszentrum. Drei Wochen zuvor hat derselbe Mann dem KZ-Profiteur und Rüstungsfabrikanten Karl Diehl die Urkunde für die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen, jetzt spricht er von einer „nationalen Aufgabe“ und klagt entsprechende Zuschüsse von Bund und Land ein. Nürnberg will mit dem 9,5 Millionen Mark teuren Projekt national und international, so Scholz, „ein Zeichen setzen“.

Ein solches Zeichen setzten die Nationalsozialisten, als sie Nürnberg zur „Stadt der Reichsparteitage“ kürten. Sie wollten vor allem die historisch-romantische Kulisse und die Reichstradition der Stadt für ihre Selbstdarstellung nutzen. Ende 1934 legte Albert Speer seinen Gesamtplan für die „Tempelstadt der Bewegung“ vor. Die größte Halle der Welt (Kongreßhalle), die größte Manöver-Arena (Märzfeld) und das größte Stadion (Deutsches Stadion) mit 405.000 Plätzen sollten auf dem 25 Quadratkilometer großen Areal entstehen.

Mit Kriegsbeginn im September 1939 wurden die Bauarbeiten auf dem Gelände eingestellt. Drei Jahre später auch an der Kongreßhalle, die von ihrer Größe her das Colosseum in Rom in den Schatten stellen sollte. Der Torso ist heute der größte erhaltene Monumentalbau aus der NS-Zeit in Deutschland.

Nach dem Krieg hätte die Stadt am liebsten das gesamte Erbe aus Stein gesprengt und die Vergangenheit als Bauschutt entsorgt. Doch dies war zu teuer. Nachdem 1973 die Bauten unter Denkmalschutz gestellt wurden, mußte die Stadt sie für teures Geld erhalten. Man versuchte fortan, die einstigen Kultstätten mit Ewigkeitswert in den Alltag zu integrieren. So diente die Große Straße seitdem als Parkplatz und die Zeppelintribüne als Übungsplatz für Tennis- und Squash-Amateure. Auf der Führerkanzel posieren gestandene Familienväter und Jungnazis fürs private Fotoalbum, und die Kongreßhalle dient als große Lagerhalle. Jahrzehntelang geschah auf dem ganzen Gelände nichts, um die 100.000 Besucher, die jährlich dorthin pilgern, zu informieren. Erst der Druck der Gedenkjahre 1983 (50 Jahre Machtergreifung) und 1985 (50 Jahre Nürnberger Gesetze) sorgte für die Errichtung von Hinweistafeln und einer kleinen Ausstellung mit dem Titel „Faszination und Gewalt“, die schlecht zugänglich und zudem im Herbst und Winter mangels Heizung geschlossen war.

Immer wieder gab es Diskussionen und Symposien über den Umgang mit den NS-Bauten. Hitlers Lieblingsobjekt, die Kongreßhalle, war ein Musterbeispiel für vielerlei Ideen der „Vergangenheitsbewältigung“. Pläne, den Torso zum Autokino, Altenheim, Großstadion oder zuletzt zu einem gigantischen Shopping-Center umzubauen, wurden geschmiedet und wieder verworfen.

Statt solcher großen Lösungen will der Direktor der Nürnberger Museen, Franz Sonnenberger, nun kleine Brötchen backen und konzipierte eine „überschaubare Lösung“ für ein Dokumentationszentrum im Nordflügel des Torsos. Für Sonnenberger war es „geradezu eine Frage der politischen Ethik, den Imponierbauten ein deutliches architektonisches Zeichen unserer Zeit entgegenzusetzen“. So werden die schlanke, transparente Glas-Eisen-Konstruktion des Eingangspavillons und ein symbolisierter Leuchtturm einen Kontrast zum Monumentalbau bilden. Ein Glasgang in luftiger Höhe zur Kongreßhalle soll nicht nur die weitere Nutzung der Halle und des Innenhofs als Lagerhalle gewährleisten, sondern gleichzeitig mit entsprechendem Ausstellungsinventar den „Weg in die Diktatur“ darstellen. In der Halle selbst stehen dann insgesamt 1.200 Quadratmeter Fläche zur Verfügung.

Unterstützung fand Sonnenberger mit seiner Idee zunächst beim Deutschen Städtetag. Dessen Kulturausschuß hob die „Einmaligkeit des Geländes in Deutschland“ hervor und forderte zu einer „nationalen Reaktion“ heraus. Nachdem die Stadt, der Bezirk Mittelfranken und private Mäzene bereits 1,2 Millionen Mark gestiftet haben, hat Sonnenberger auch von Bund und Freistaat Unterstützung signalisiert bekommen.

Um die Inhalte kümmerte sich bislang der Erlanger Professor Gregor Schöllgen. Er hat ein Gutachten ausgearbeitet, das derzeit einem Expertengremium um die Professoren Reinhard Rürup von der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, Wolfgang Benz vom Institut für Antisemitismusforschung und Horst Möller von Institut für Zeitgeschichte in München zur Prüfung vorliegt. Das Dokumentationszentrum müsse sich, fordert der Nürnberger Museumsdirektor, inhaltlich „in die deutsche Gedenkstättenlandschaft einpassen“. Da sich in Nürnberg die „Nazi-Bewegung auf beinahe obszöne Weise selbst gefeiert und die Deutschen unverhohlen auf den Krieg eingestimmt“ hatte, müsse die „Reflexion der propagandistischen Selbstinszenierung“ Schwerpunkt der Ausstellung sein. Die Schauseite der Nazis solle dann mit der Realität des Dritten Reiches kontrastiert werden. Neben den unvermeidlichen Briefen von Ewiggestrigen, die das Projekt als „Geldverschwendung“ bezeichnen, kommt bislang die einzige Kritik aus Architektenkreisen. Der Berufsstand fühlt sich schlichtweg übergangen, nachdem Sonnenberger, eine schnelle Realisierung bis zum Jahr 2000 fest im Blick, die architektonische Leitung dem städtischen Hochbauamt übertragen hat. Um die Wogen zu glätten, versprach Baureferent Walter Anderle, einen internationalen Wettbewerb für das gesamte Areal auszuloben.