Ein Stück Hoffnung wird versteigert

10.000, 10.000, 11.000? Bei der Pferdeauktion nehmen die Profis in Seide und Jeans nur in besonderen Situationen die Zigarre aus dem Mund. Nur Kleinanleger feiern den Kauf eines Tieres  ■ Von Basil Wegener

„3.000 Mark, 3.000 Mark, 3.000 Mark. Wer gibt mir 3.000 Mark?“ tönt die Stimme aus aus den Lautsprechern, doch die Abendgesellschaft am Rande der Trabrennbahn bleibt lässig. Wenn den Menschen etwas vom Tier trennt, ist es wohl die Angewohnheit, sich ständig entscheiden zu müssen für oder gegen, und immer ist es hochwichtig. In diesem Fall ist das Tier eine kleine braune Stute, und sie hört auf den Namen Swedish Queen. Ganz unroyal, geradezu unwirsch stakst die Queen im kleinen Auktionsrund herum; wahrscheinlich ahnt sie nicht einmal, daß sie in dieser Sekunde Objekt heftigsten Abwägens bei Frank Koster ist. Der Mann ist der Entscheidung nahe.

Koster hat seinen Sezierblick aufgesetzt und späht vom einige Meter entfernten Tisch über Sektgläser hinweg gen Huftier. Im Geist befühlt er des Pferdes Fleisch; er sieht es traben, für ihn traben. Swedish Queen? Frank Koster hebt die Hand. Aber dann: „3.500 Mark, 3.500 Mark, 3.500 Mark. Und: 4.000 Mark.“ Auch andere haben sich entschieden und treiben den Preis in die Höhe. „5.000 Mark, 5.000 Mark.“ Koster entschließt sich aufs neue: 5.500 Mark. „Zum zweiten, zum ...“, selten war eine Sekunde teurer, „... dritten!“ Kosters Anspannung löst sich in Jubel auf.

58 einjährige Pferde für durchschnittlich 15.000 Mark wurden am Samstag in Mariendorf versteigert. Potente Käufer und erfolgverwöhnte Trainer aus ganz Deutschland hatten sich am Ende der Derby-Woche auf der historischen Tribüne eingefunden. Doch auch tierliebende Teile von Berlins oberer Mittelschicht schlürften ihren Schaumwein, um im entscheidenden Moment mit dem Finger zu schnippen.

„Ah, der Herr da oben, 8.500 Mark. Ja, 9.000, Dankeschön!“ feuert Auktionator Volker Raulf die Tierfreunde an. „9.000, 9.000, 9.000. Und 10.000. Na, Junge, du versperrst mir den Weg, ich muß dem doch in die Augen sehen! Ja 11.000 sind hier vorne geboten, ganz nah bei mir. 11.000. 11.000. 11.000. Ja laufen Sie doch nicht weg, wir sind jetzt hier vorne bei 11.000; das ist doch kein Geld!“ Wie auf dem Gemüsemarkt geht es hier zu, eigentlich eine ganz transparente Sache. Doch für die Bieter ist Raulfs Stimme nur Hintergrundmusik.

Die Liebe zum Tier macht in der ovalen Welt Mariendorfs keineswegs blind für die vielen menschlichen Vorgänge. Mit ruhiger Miene, betont cool die meisten, sitzen die Pferdefreunde in Seide, Halbseide oder Jeans auf ihren VIP-Plätzen. Nur bei unerwarteten Einsätzen nehmen sie ihre dicken Zigarren aus dem Mund und tasten die Tribüne mit den Augen oder Ferngläsern ab. Welches Mitglied aus der Traberfamilie macht wem einen Strich durch die Rechnung? Will da der Züchter nicht den Preis über Strohmänner in die Höhe treiben?

„24.000 Mark, 24.000 Mark, 24.000 Mark.“ Weißes Flutlicht ersetzt langsam die Abendsonne, und die Summen steigen ständig, bis auf 70.000 Mark. Frank Koster aber hat sich längst vom konzentrierten Auktionsgeschehen abgewandt. Aufgedreht gießt er den Rest des Champagners, der jeden Pferdedeal hier veredelt, in die Gläser seiner Frau, seiner Freunde. Koster ist einer der wenigen, für die ein Pferd ein Grund zum Feiern ist, nicht vornehmlich Arbeitsmaterial. Der Chef einer Klempnerei mit 35 Angestellten erzählt stolz, er habe sich erst in seine Swedish Queen verguckt, als sie vorgeführt wurde. Die Stute ist sein drittes Pferd, und ob er mit ihr jemals Siegprämien einfahren wird, steht in den Sternen. „Das Pferd hat Charakter“, ist sich der Sanitärspezialist aber sicher. Im übrigen sei auch sein Töchterchen in Pferde vernarrt.

Koster braucht die Pferde, um auch an was anderes denken zu können, als an seine verstopfen Badewannen und Toiletten. „Die vier, fünf Stunden Training sind meine einzige Entspannung in der Woche“, sagt er. Letztes Jahr wollte Kosta unbedingt einen Gaul namens Franko Costello ersteigern; die Ähnlichkeit zu seinem eigenen Namen schien ihm eine untrügliche Erfolgsgarantie zu sein. Doch der Züchter wollte mindestens 25.000 Mark, und bei 20.000 ist Koster ausgestiegen.

Das war ein weiser Entschluß. Der Trabrennverein Mariendorf ist mit rund zehn Millionen Mark verschuldet, die Zukunft des Berliner Rennsports ist ungewiß. „Die Berliner Besitzer muß man im Augenblick bewundern“, findet deshalb Norbert Steinweg, aus Münster stammender Mitveranstalter der Pferdeauktion. Bei den Rennpreisen machten fast alle Ställe Defizit. Für Steinweg war der Gesamterlös von 852.000 Mark (und die sieben Prozent Gebühr für die Veranstalter) deshalb recht erfreulich. Der Mariendorfer Verein hofft derweil auf einen Investor, der auf einen Teil des Renngeländes ein Seniorenheim setzen will. Flächennutzungsplan und Bebauungsplan stehen diesem Rettungsanker aber noch im Weg.

Auktionator Volker Raulf sprudelt kurz vor Mitternacht noch immer. „13.000 Mark. 13.000 Mark. 13.000 Mark.“ Inzwischen ist er etwas heiser. Für die Trainer dagegen beginnt die Arbeit erst in den nächsten Tagen. Koster stellt seine Swedish Queen bei Stefan Gebhardt in den Stall. Wird das Tier je bei einem Derby mitlaufen? Gebhardt zuckt die Schulter und spricht klug: „Was sich die Leute hier kaufen, ist eine Hoffnung.“ Auch diese Hoffnung unterscheidet die Menschen von den Tieren: Auf Glück und Gewinn, also auf ein paar tausend Mark Siegprämie, frühestens in ein paar Jahren. Erst dann wird Frank Koster wissen, ob seine Entscheidung richtig war.