„Keine verklemmte Entschuldigung“

■ Die Hamburger Galerie Andreas Schlüter zeigt und verkauft Fotos der NS-Propagandistin Leni Riefenstahl

Riefenstahl in Hamburg? Schon vor Monaten raunten Eingeweihte, daß sich der Galerist Andreas Schlüter der letzten Überlebenden der NS-Kulturelite, der reulosen Erschafferin der Propagandafilme Triumph des Willens (1935) und Olympia (1938), annehmen wolle. Von Komplikationen und Vertragsproblemen war die Rede.

Am Mittwoch vergangener Woche tickerte dpa dann die entscheidende Meldung durch: Vom 15. August bis zum 14. September wird die Galerie Andreas Schlüter erstmals in Deutschland eine Verkaufsausstellung mit fotografischen Arbeiten Riefenstahls veranstalten. Die Preise der Exponate sollen „unter 10.000 DM“liegen, verriet Schlüter. Riefenstahl ha-be ihre Werke – Abzüge in kleiner Auflage – „preisgünstig“anbieten wollen. Zur Ausstellungseröffung soll die 94jährige nach Hamburg kommen.

Was will Riefenstahl, die als braunes Gespenst durch Wissenschaft und Feuilletons spukt und sich im Ausland mittels groß angelegter Ausstellungen (Tokio 1992, Mailand 1996) zur unbefleckten Priesterin des Kunstschönen verklären läßt, in der Galerie Schlüter? Und was will Schlüter, spezialisiert auf zeitgenössische Kunst, von der NS-Heroine Riefenstahl?

taz: Herr Schlüter, ist Leni Riefenstahl mittlerweile ein Popstar, der sich risikolos vermarkten läßt?

Schlüter: Das mag für die USA und Japan gelten. Dort betrachtet man ihr Werk eher unter ästhetischen als historisch-politischen Aspekten. Ich glaube, daß sich dieser Blickwinkel langfristig auch in Deutschland durchsetzen wird. Derzeit reagiert die deutsche Öffentlichkeit immer noch sehr sensibel auf den Namen Riefenstahl.

Haben Sie es auf eine Provokation abgesehen?

Ein wenig Provokation ist sicherlich dabei. Was Riefenstahl und ihre Kunst betrifft, glaubt jeder, eine Antwort zu haben, dabei sind viele Fragen offen. Um ein Beispiel zu nennen: Woher kommen die Hemmungen im Umgang mit Riefenstahl? Offenbar können sich viele Betrachter ihre Faszination nicht eingestehen. Das wäre politisch einfach nicht korrekt.

Was hat Sie dazu veranlaßt, sich mit Riefenstahl zu befassen?

Ich halte Frau Riefenstahl für eine begnadete Künstlerin, die mit ihrer Arbeit Maßstäbe gesetzt hat. Schauen Sie sich nur einmal den neuen Fotoband von Annie Leibovitz über die amerikanische Olympia-Mannschaft an – der Einfluß Riefenstahls ist unverkennbar. Vor etwa zwei Jahren habe ich dann Kontakt mit ihr aufgenommen und sie in ihrem Haus am Starnberger See besucht.

Was für einer Frau sind Sie dort begegnet?

Einer sehr humorvollen Frau, sehr konzentriert, sehr diszipliniert, sehr temperamentvoll.

Humorvoll?

Ich empfinde sie so, ja.

Warum hat sich Riefenstahl darauf eingelassen, bei Ihnen auszustellen?

Meines Wissens nach gab es ansonsten keine Anfragen. Weder von Galerien noch von Museen. Offenbar wagt es in Deutschland niemand, Riefenstahl auszustellen. Im Im übrigen hat Frau Riefenstahl auch nie versucht, ihre Fotos über eine Galerie zu verkaufen. Sie hat immer nur für Magazine und Bildbände produziert. Daß ein Kunstmarkt für Fotografie existiert, war für sie ei neuer Gedanke.

Wer hat die Auswahl der Fotos getroffen, und welche werden in Ihrer Galerie zu sehen sein?

Die Auswahl der Fotos haben wir gemeinsam übernommen. Insgesamt sind es 62 Motive, hauptsächlich Nuba- und Unterwasserfotografien. Eine kleinere Gruppe von 16 Motiven dreht sich um die Olympiade 1936. Es war meine Idee, diese Fotos mit hineinzunehmen; Frau Riefenstahl hat im nachhinein zugestimmt. Meiner Ansicht nach hätte die Ausstellung ohne die Olympia-Fotos wie eine verklemmte Entschuldigung gewirkt. Man muß als Galerist auch auf ihre Vergangenheit hinweisen – das Thema ist einfach zu präsent. Außerdem hat der Besucher nun die Möglichkeit, ästhetische Parallelen in ihrem Werk zu entdecken.

Wird es begleitend zur Ausstellung Vorträge und Diskussionsrunden geben?

Nein. Wir publizieren auch keinen Katalog. Allerdings wird Frau Riefenstahl – wenn es ihre Gesundheit zuläßt – im August nach Hamburg kommen und sich den Fragen der Presse stellen.

Mit anderen Worten: Die Ausstellung enthält sich bis auf ein paar optische Querverweise jedes kritischen Kommentars. Kann man Kunst und Künstler so einfach trennen?

Ich will eine qualitativ hochwertige Ausstellung machen. Es ist nicht meine Aufgabe, Riefenstahls Biographie zu diskutieren. Ich maße mir auch kein moralisches Urteil über sie an. Ich nehme zur Kenntnis, was sie getan hat. Daß darunter auch fragwürdige Dinge sind, ist wohl allseits bekannt.

Die Opfer des Nationalsozialismus müssen noch immer um Entschädigungen kämpfen. Riefenstahl dagegen verdient bis heute an den Medienprodukten, die sie für die Nationalsozialisten hergestellt hat. Im Falle der Olympia-Fotos helfen Sie ihr dabei. Wie läßt sich das moralisch vertreten?

Schwierige Frage. Ich will versuchen, sie am Beispiel des Olympia-Films zu beantworten. Frau Riefenstahl hat mehrere Prozesse um die Rechte an diesem Film geführt. Nun muß sie 50 Prozent der Einnahmen an die „Transit“abgeben, die treuhänderisch Filme aus der NS-Zeit verwaltet. Ich gehe also davon aus, daß in diesem Bereich alles entsprechend der Gesetze geregelt ist. Ich bin aber nicht sicher, ob sich moralische Grundsätzlichkeiten auf dieser Ebene angemessen behandeln lassen.

Was ist von Frau Riefenstahl in Zukunft zu erwarten?

Ihr Werk ist keineswegs abgeschlossen. Sie arbeitet nach wie vor. Sie taucht und will ihren Unterwasserfilm beenden. Ich glaube, das ist ihr größter Wunsch: noch einmal einen Film fertigstellen.

Fragen: Lutz Kinkel

Ausstellung: 15. August bis 14. September, Galerie Schlüter, Kirchenallee 25