Wider den Einigungsvertrag

Sachsen-Anhalt bereitet Verfassungsklage gegen das neue Atomgesetz vor, um verlängerte Nutzung der Atomkippe Morsleben zu verhindern  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – „Endlich kann uns das Bonner Umweltministerium einmal nicht durch bundesaufsichtliche Weisungen vorschreiben, was wir beim Endlager Morsleben zu tun oder zu lassen haben“, freut sich der sachsen-anhaltinische Umweltstaatssekretär Wolfram König. Anlaß für solche Freude im Hause der Umweltministerin Heidrun Heidecke ist eine Verfassungsklage, die dort gerade juristisch vorbereitet wird.

Im Visier hat die Grünen-Politikerin Heidecke die von Angela Merkel ausgearbeitete Novelle des Atomgesetzes, die das Bundeskabinett kurz vor der Sommerpause noch verabschiedet hat. Mit dem neuen Atomrecht soll nämlich auch die schon zu DDR-Zeiten erteilte Genehmigung zur „Endlagerung radioaktiver Abfälle“ in Morsleben um fünf Jahre bis zum 30. Juni 2005 verlängert werden. Und in dieser Verlängerung der Betriebszeit der alten DDR- Atommüllkippe sieht die Umweltministerin einen Verstoß gegen den Einigungsvertrag. „Wir können in allen drei Phasen des Gesetzgebungsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht klagen“, sagt Umweltstaatssekretär König. „Wir prüfen nur noch, zu welchem Zeitpunkt es juristisch am zweckmäßigsten ist.“

Mit dem Einigungsvertrag hatten die Bundesrepublik und die danach untergegangene DDR festgelegt, daß für eine Übergangszeit von der DDR erteilte atomrechtliche Genehmigungen, wie die von Morsleben, noch bis Mitte des Jahres 2000 fortgelten sollten. Die Übergangszeit sollte genutzt werden, um für die alten DDR-Anlagen neue Planfeststellungsverfahren durchzuführen und sie nach den Maßstäben des bundesdeutschen Atomrechts auf Sicherheit zu überprüfen.

Mit dieser Übergangsbestimmung übernahm der Einigungsvertrag eine Klausel des im Jahre 1990 noch von der Volkskammer verabschiedeten Umweltrahmengesetzes. Schon dieses wollte der Bevölkerung die schlechteren DDR-Sicherheits- und Umweltstandards nur noch befristet zumuten und sah eine Anpassung an die bundesdeutschen Sicherheitsvorschriften vor.

Die Juristen im Umweltministerium in Magdeburg haben inzwischen gründlich geprüft, wie sich Sachsen-Anhalt gegen jene Fortschreibung der DDR-Genehmigung für Morsleben bis 2005 wehren kann. „Als Repräsentant der Bevölkerung der untergegangenen DDR wird das Land Sachsen-Anhalt beim Bundesverfassungsgericht auf die Einhaltung der Morsleben betreffenden Bestimmung des Einigungsvertrages klagen“, sagt Umweltstaatssekretär König.

Die Juristen seines Hauses haben bereits Präzedenzfälle analysiert, in denen Gebietskörperschaften für längst untergegangene Länder des Deutschen Reiches in Karlsruhe auf Einhaltung von Staatsverträgen geklagt hatten. Eine Klagebefugnis hatte das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel weder den Gebietskörperschaften des untergegangenen Landes Lippe noch denen des schon 1920 im Land Bayern aufgegangenen Freistaates Coburg verwehrt. Auch das Land Brandenburg hat bereits im vergangenen Jahr in Karlsruhe stellvertretend für die Bevölkerung der DDR ein Verfahren auf Einhaltung des Einigungsvertrags gewonnen.

Das Land Sachsen-Anhalt unterliegt bei der Abfassung der Klage endlich einmal nicht der Kontrolle der Bundesumweltministerin. Sie legt sonst in Sachen Morsleben der Regierung in Magdeburg per bundesaufsichtlichen Weisungen immer Fesseln an. Über ihr Weisungsrecht hatte Angela Merkel die Landesregierung in Magdeburg schon dazu gezwungen, eine zweite erweiterte Altgenehmigung für Morsleben als noch zu DDR-Zeiten erteilt anzusehen. Die zu DDR-Zeiten nie abschließend genehmigte Erweiterung des Endlagers erhöht das Einlagerungsvolumen um das Siebenfache und das für das nasse Endlager erlaubte radioaktive Inventar auf das 10.000fache.