Die ganz legalen Mittäter

Organisierte Banden, vorwiegend ausländische, bedrohen die innere Sicherheit, sind sich Innenminister Kanther (CDU) und Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) einig. Aber wer sind eigentlich die Nutznießer und Finanziers der organisierten Kriminalität?  ■ Von Werner Rügemer

Köln (taz) – In einer süddeutschen Millionenstadt, die für ihre schicken Nobelrestaurants bekannt ist, wurde dieser Tage ein Gerichtsverfahren abgebrochen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als es endlich spannend wurde. Vor Gericht stand seit einigen Monaten Laszlo T. Er gab zu, im Laufe mehrerer Jahre Gänseleber im Wert von ungefähr zwei Millionen Mark aus Ungarn nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Er hatte weder Gewerbeanmeldung noch Gesundheitsbescheinigung. Er stellte seine Rechnungen ohne Umsatzsteuer aus. Er hatte auch keine Ausgaben dafür, um die kostbaren Delikatessen beim Transport auf der vorgeschriebenen Kühltemperatur von drei bis sechs Grad zu halten; vielmehr transportierte er sie einfach im Kofferraum seines BMW. So bot er die Gänseleber in Deutschland für 40 Mark unter Marktwert an, also für 70 statt für 110 Mark das Kilogramm. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage.

Nobelrestaurants kaufen geschmuggelte Gänseleber

Erst allmälich wurde eine andere Frage gestellt: „Wem hat Laszlo T. die Packungen mit 10 und 20 Kilogramm Gänseleber eigentlich geliefert? Wer waren die Käufer?“

Diese Frage hätten Kripo, Staatsanwaltschaft und Medien schon früher stellen können. Laszlo T. war nämlich nicht irgendwo verhaftet worden, sondern vor einem bekannten Nobelrestaurant mit Namen Aubergine. Da wollte er einen Teil der 60 Kilogramm frisch, billig und zollfrei importierter Gänseleber gerade aus dem Kofferraum seines BMW ausladen. Vor Gericht nannte Laszlo T. dann noch andere Abnehmer für seine kostbare billige Schmuggelware: die Feinschmeckerlokale Tantris und den Preysingkeller. Außerdem habe er nicht nur Abnehmer in der süddeutschen Millionenstadt gehabt, sondern auch in anderen Städten. Zum Beispiel das europaweit bekannte Sternerestaurant Ente vom Lehel in einer hessischen Großstadt. Da wurde es dem Amtsrichter Jörg Landgraf zu bunt. Er stellte während einer Gerichtsverhandlung mit Blick auf den Staatsanwalt erstaunt die Frage: „Warum wurden gegen die Abnehmer der Schmuggelware keine Ermittlungen eingeleitet?“

Nicht alle seine Kollegen verhalten sich wie Landgraf. Wenn sie die kleinen und großen Schmuggler, Dealer, Zuhälter und so weiter im Namen des Volkes zu ordentlichen Gefängnisstrafen verurteilt haben, mit anschließender Abschiebung, wenn es sich um Ausländer handelt, dann wenden sie sich dem nächsten Fall zu. Landgraf hingegen setzte das Verfahren gegen den ungarischen Schmuggler Laszlo T. aus. Er gab der etwas widerstrebenden Staatsanwaltschaft auf, erst einmal gegen die deutschen Aufkäufer der Schmuggelware zu ermitteln.

Das organisierte Verbrechen bedroht uns, sagen die Innenminister. Sie legen Statistiken vor, wonach der Anteil der ausländischen Straftäter und Banden am organisierten Verbrechen steigt. Zu ihnen gehören Asylbewerber, Illegale und Flüchtlinge. Bundesinnenminister Manfred Kanther zeigt sich immer wieder besorgt über diese Entwicklung. Er sieht die innere Sicherheit bedroht, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Auch die europäische Zentralbehörde Europol soll ausgebaut werden, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Mit Ausweisung und Abschiebung will Kanther im Namen der Bundesregierung stärker durchgreifen. „Wir müssen in stärkerem Maße von der Ausweisung und Abschiebung ausländischer Mehrfachtäter und solcher, die der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, Gebrauch machen“, sagt Kanther, und der Kanzlerkandidat in spe der SPD, Gerhard Schröder, blies letztens ins gleiche Horn.

Seit Jahren wird nun schon verstärkt ausgewiesen und abgeschoben. Und gleichzeitig legt uns der Bundesinnenminister ständig neue Statistiken vor, wonach die Bedrohung durch das organisierte Verbrechen mit hohem Ausländeranteil trotzdem weiter zunimmt. Für jeden ausgewiesenen Ausländer kommt, geheimnisvollerweise, ein neuer nach. Woher kommt das?

Der Bundesinnenminister und seine Freunde übersehen etwas, nämlich eine wichtige Gruppe der Bevölkerung. Auf sie hat der Amtsrichter der süddeutschen Millionenstadt sanft, aber bestimmt hingewiesen: Es sind die Käufer der Gänseleber. Es sind die Nutznießer, Auftraggeber und Finanziers des organisierten Verbrechens. Es sind die legalen Mittäter.

Gewinnspannen bei der illegalen Prostitution

Nach Angaben der Europäischen Union werden zum Beispiel gegenwärtig allein aus osteuropäischen Ländern jährlich etwa 500.000 Frauen zum Zwecke der Prostitution nach Westeuropa verbracht. Ihre Stellung ist haufig „sklavenähnlich“, so heißt es. Die Frauen sind abhängiger und zugleich anspruchsloser, da sie aus ärmeren Gesellschaften kommen. Sie kennen sich hier schlecht aus, leben häufig mit illegalem Status, haben wenig Sprachkenntnisse, sind meist jung. Wenn sie ein Viertel ihrer Einkünfte ausbezahlt bekommen, dann gehören sie zu den Spitzenverdienerinnen.

Ein Beamter der Abteilung „Sitte“ in einer westdeutschen Großstadt beschreibt die finanziellen Verhältnisse so: „Die Frauen sind für die Kunden in der Regel billiger geworden. Dagegen sind für die verschiedenen Gruppen der legalen Nutznießer und Finanziers die Profite gestiegen – also für Anwerber, Transporteure, Zuhälter, Vermieter, Club- und Bordellbetreiber, und für die Anzeigenseiten der Tageszeitungen.“

In der Regel müssen sie ihre angeblichen hohen Einreisekosten abarbeiten; gegenüber ihren Vermittlern, Schleusern und Transporteuren bleiben sie zum Teil lange verschuldet. Den Hauptteil erhalten die Zuhälter. Auch als Betreiber von Großbordellen verdient man nicht schlecht. Pro Tag nimmt er vielleicht 30.000 Mark Miete von den Prostituierten ein, im Monat also etwa eine Million.

Stellt sich nach einer Razzia – wie heute durchaus üblich – heraus, daß bei gut einem Drittel der Frauen der Verdacht auf illegalen Aufenthalt besteht, dann stehen sie allein. Der Geschäftsführer des Bordells kann nicht mehr feststellen, welcher seiner Beschäftigten mit den Frauen den Mietvertrag abgeschlossen hat. Die Zuhälter wissen von nichts, da sie die Frauen von Anwerbern oder Vermittlern übernommen haben. Die illegalen ausländischen Frauen werden ausgewiesen – Vermittler und Schlepper besorgen den „Frischfleisch- Nachschub“.

Auch die anderen Beteiligten waschen ihre Hände in Unschuld: Der Vermieter kann sagen, daß die Frau sich ja bei ihm vorgestellt und die Absicht bekundet habe, hier eine Arbeit aufzunehmen. Die Bank kann sagen, daß die täglichen Einzahlungen des Zuhälters unter 20.000 Mark bleiben und das Geldwäschegesetz nicht greift; oder die Bank geht davon aus, daß der Zuhälter kein solcher ist, sondern ein Fitneß-Unternehmer. Der renommierte Zeitungsverlag kann sagen, daß die Anzeigenkunden ja ein Gewerbe ordentlich angemeldet haben und so weiter und so fort. Und ganz am Ende dieser Kette von Unschuldslämmern stehen Hunderttausende Männer, die sich täglich und nächtlich über den Preisverfall in der Prostitution freuen.

Wenden wir uns einem anderen Bereich zu. Es wird geschätzt, daß etwa vier bis fünf Prozent des Pkw- Bestandes in Deutschland jährlich gestohlen wird. Bei etwa einem Drittel dieser Diebstähle wird angenommen, daß sie fingiert sind, daß sie also von den Besitzern selbst eingefädelt werden. Auch wenn es nach dem Fall der Berliner Mauer zunächst eine gewisse Plausibilität hatte, daß die meisten dieser gestohlenen Autos nach Polen, Rußland, in die Ukraine oder sonstige exotische oder mafiose Länder verschoben wurden, so traf dieses politisch und medial hergestellte Bild nie zu. Die meisten in Deutschland gestohlenen Pkws bleiben in Deutschland.

Geheime Verwandlungen bei Kfz-„Totalschäden“

Eine besondere und bisher wenig beachtete Rolle spielt dabei der Handel mit den sogenannten „Totalschaden“-Autos. Legen wir folgenden typisierten Fall zugrunde: Ein Porsche im Wert von 90.000 Mark hat einen Unfall. Der von der Versicherung bestellte Gutachter taxiert den Restwert auf 5.000 Mark. Ein Aufkäufer, in diesem Fall das Abschleppunternehmen, bei dem der „Totalschaden“ untergestellt ist, will dem überraschten Besitzer aber 15.000 Mark bezahlen. Die offizielle Version lautet, „das Auto kann wieder hergestellt werden.“ Der Gutachter rät dem Besitzer ebenfalls zu. Der Besitzer tätigt den Verkauf und meldet ihn seiner Versicherung, die dem zustimmt, weil sie weniger erstatten muß.

Das Abschleppunternehmen verkauft anschließend den „Totalschaden“ an einen Gebrauchtwagenhändler. Der war schon informiert und hat den Diebstahl eines nach Baujahr und Typ gleichen Porsches bei einem rumänischen Diebstahlring in Auftrag gegeben. Mit Hilfe des aufgekauften Kfz- Briefes und der Fahrzeugidentifizierungsnummer – früher hieß sie Fahrgestell-Nummer – wird der gestohlene Porsche umfrisiert. Dann wird er für 85.000 Mark verkauft.

Der Gebrauchtwagenhändler hatte folgende Auslagen: 10.000 Mark für den „Totalschaden“ über dem Restwert, 5.000 Mark Provision an das Abschleppunternehmen, 2.000 Mark für den rumänischen Beschaffer des gestohlenen Porsches, 8.000 Mark für das Umfrisieren bei der befreundeten Kfz- Werkstatt – zusammen also 25.000 Mark. Macht für den Gebrachtwagenhändler einen Gewinn von 55.000 Mark.

Die auf Kfz-Diebstähle spezialisierten Ermittler der Polizei schätzen, daß heute bis zu 90 Prozent aller „Totalschäden“ nach diesem Muster abgewickelt werden. Wie beim Menschenhandel und bei der Prostitution herrscht auch hier ein arbeitsteiliges Vorgehen. Jede Tätigkeit ist aufgeteilt in eine eigene „Profession“.

So werden auch beispielsweise die in diesem hektischen Geschäft nützlichen Handys vielfach durch Service-Provider zur Verfügung gestellt. Sie kaufen vom Mobilfunkunternehmen en bloc zehn oder zwanzig oder fünfzig Handys und vermieten sie mit Provisionen zwischen zehn und fünfundzwanzig Prozent im Milieu weiter.

Die Versicherungsunternehmen wissen über das Massenphänomen des Handels mit „Totalschäden“ Bescheid. Die ständige Abweichung zwischem dem Restwert, der von den Gutachtern ermittelt wird, und dem tatsächlichen Verkaufspreis der „Totalschäden“ wird den Versicherungsunternehmen in jedem einzelnen Fall bekannt und wird in die Erstattungssumme eingerechnet. So profitieren sie dabei.

Man kann auch von einer bewußten Beihilfe zur Urkundenfälschung ausgehen. Die Verhinderung des „Totalschaden“-Handels wäre nämlich leicht möglich, so die Spezialisten der Kripo. Es könnte gesetzlich oder vertraglich festgelegt werden, daß bei einem Totalschaden Kfz-Brief und Fahrzeug- identifizierungsnummer eingezogen werden. Eine solche Initiative ergreifen die Versicherungsunternehmen aber nicht.

Beim Gartenbau helfen illegale Kosten sparen

Bekanntlich ist der Baubereich ein bevorzugtes Tätigkeitsfeld des organisierten Verbrechens. An der Beschaffung, am Verleih und an der vielfältigen Ausbeutung illegaler Arbeitnehmer ist ein tiefgestaffeltes System von Unternehmen und Subunternehmen beteiligt. Etwa 400.000 Ausländer sind auf deutschen Baustellen ständig illegal beschäftigt. Sie gehören den verschiedensten Nationalitäten an. Ständig werden welche entdeckt und abgeschoben. Aber ständig kommen neue nach, just so viele, wie gerade gebraucht werden. Illegale sind billig. Am unteren Ende der Skala liegen Stundenlöhne von vier Mark, also 13 Mark unterhalb des vorgeschriebenen Mindestlohnes von 17 Mark.

Die normalen Arbeitgeber haben gelernt, falsche Lohnangaben zu machen und ihre Bücher zu frisieren. Eine falsche Auszahlungsbestätigung wird heute von jedem osteuropäischen Werkvertrags-arbeiter unterschrieben. Wie bei der Prostitution ist die Zahl der Profiteure hoch, und ihre Gewinnspanne ist ebenfalls hoch. Trotz der ständigen Beschäftigung zahlreicher Billigstarbeiter sind die Baupreise keineswegs gefallen, ob es sich nun um Eigentumswohnungen oder Regierungsgebäude handelt. Achim Klimke von der Industriegewerkschaft BAU, zuständig für den Potsdamer Platz, faßt die Situation so zusammen: „Die Verdienstspanne bei Kokain ist ähnlich hoch, nur dort gehste in den Knast, und hier am Bau schert sich kein Deibel drum.“

Die massenhafte illegale Beschäftigung am Bau hat dazu geführt, daß dieses „erfolgreiche“ Modell auch anderswo übernommen wurde. Mit Hilfe von Inseraten in der örtlichen Zeitung können heute auch Privatleute ihre polnische Bauarbeiterkolonne für die Renovierung ihrer Altbauwohnung bestellen. Aber auch in Großgärtnereien, Großbäckereien, Großmärkten, Schlachthöfen, Partydiensten, Restaurant-, Kiosk- und Hotelketten ist die illegale Beschäftigung zur Routine geworden. Auch hier ist das tiefgestaffelte System der Unternehmen und Subunternehmen von der organisierten Kriminalität durchsetzt.

Beispiel: Eine Großgärtnerei mit Sitz am Niederrhein bietet auf einen Schlag in ihren landesweiten Filialen dasselbe Produkt an, und zwar billiger als die Konkurrenz: ein Gesteck aus Hydropflanzen, befestigt auf bizarren Steinen und in der Mitte versehen mit einem fließenden Brünnchen – so recht etwas für die naturnahe deutsche Seele im gemütlichen Eigenheim. Verkaufspreis: ein paar hundert Mark. Zur Herstellung des Gestecks in der Auflage von mehreren Tausend wurden über Subunternehmer Polinnen angeworben.

Sie werden in Containern untergebracht. Sie erhalten sieben Mark pro Stunde, sie sind nicht versichert – offiziell gelten sie als Touristinnen und haben noch in Polen eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen. Auch Asylanten ohne Versicherung werden gern angestellt. Ein Subunternehmer vermietet die Container. Ein weiterer ist für die Anstellung und den Verleih der Arbeitskräfte an den Gartenbauunternehmer zuständig, ein anderer Subunternehmer für den – den Frauen extra berechneten – Transport vom Container zum Arbeitsplatz. Ein weiterer Subunternehmer verdient mit der Lieferung des Essens an das kasernierte Personal. Bei der Vernehmung nach einer Razzia findet der Gartenbauunternehmer die üblichen Entschuldigungen: „Ich dachte, daß alles in Ordnung ist“, oder: „Die sind erst seit gestern hier“, oder: „Die Stundenzettel sind leider nicht auffindbar“, oder: „Der Subunternehmer ist heute stiftengegangen“ und so weiter.