„Der Gnupsi hier verrät den Quasar“

Mit Fingerspitzengefühl und ausgeklügelter Technik gehen Astrophysiker der Hamburger Sternwarte auf die Suche nach Quasaren  ■ Von Achim Fischer

„Unser neuester Coup heißt HE 2347 Strich irgendwas“, freut sich Lutz Wisotzki. HE 2347 ist ein Quasar – ein extrem hell leuchtender Verwandter unserer Milchstraße im Universum. Rund 2.000 davon sind schon bekannt. Aber der ist ein ganz besonderer: besonders hell, besonders weit entfernt, noch dazu mit unverstellter Sicht zur Erde – eben „ein ganz heißer Feger“, strahlt Wisotzki, Astrophysiker an der Hamburger Sternwarte. Er springt auf, zieht einen von dreißig Aktenordnern aus dem Regal und blättert. Das „Strich irgendwas“läßt ihm keine Ruhe. „Da. Ich hab's: HE 2347 Strich 4342.“

Fünf solcher Super-Quasare waren bislang bekannt. Auch diese fünf haben die Hamburger Astrophysiker entdeckt. Quasare sind riesige Materiegnubbbel im Weltall, millionenmal schwerer als unsere Sonne, die vor lauter Hitze gleißend hell glühen (siehe Kasten). Quasare leuchten auch noch die hintersten Winkel des Weltalls aus. Wissenschaftler können deshalb mit Hilfe der Super-Birnen das Weltall besser ausmessen. Und: Die Quasare geben, da sie bis zu 12 Milliarden Jahre alt sind, Auskunft über die Vergangenheit der Welt.

„Wir durchforsten hier den gesamten Sternenhimmel systematisch nach Quasaren“, erklärt Wisotzki. „Das ist weltweit einmalig.“Und wie findet man so einen Leuchtturm am Galaxien-Himmel? Noch dazu von Hamburg aus, das wohl kaum für seine klaren Nächte bekannt ist? „Wir machen unsere Beobachtungen in der Regel an der europäischen Südsternwarte in Chile“, erklärt Wisotzki. Der Andrang dort ist riesig. „Ein paar Tage bis eine Woche Beobachtungszeit“bekommen die Wissenschaftler auf Antrag zugeteilt.

Einfach mal in den Himmel gucken und Quasare suchen wäre Zeitverschwendung. Mit mehreren Wochen Vorbereitung kommen die Wissenschaftler nach Chile, wissen genau, welche Himmelsabschnitte sie untersuchen. Ein festes Technikerteam vor Ort bedient die hochsensible Anlage. Unter der Teleskop-Kuppel stehen keine Computer. Wisotzki: „Die bringen mit ihrer Hitze die Luft dermaßen ins Wabern, daß die Beobachtungsergebnisse verfälscht werden.“

„Theoretisch könnte ich das auch von Hamburg aus machen“, meint Wisotzki. Aber die Übertragung der Daten, etwa über das Internet, kostet mehrere Minuten – viel zu wertvolle Zeit. Immer wieder müsse er schnell reagieren, eine Belichtungszeit ändern, eine andere Position einstellen. „Ich muß während der Beobachtung abschätzen, ob die Rohdaten brauchbar sind.“Die gesuchten Objekte müßten sich deutlich genug „aus dem allgemeinen Grundrauschen abheben“. Spricht's und zeigt ein Sternen-Foto: Ein grauer Schleier, darauf tausende kleiner, schwarzer Punkte. Etwa so, wie eine Windschutzscheibe nach der Fahrt durch einen sommernächtlichen Mückenschwarm. Nur ohne Schmiere.

Etwa 50.000 Punkte hat Wisotzki pro Aufnahme auf seinen Fotoplatten. 2.000 dieser Platten lagern im Archiv der Hamburger Sternwarte – das macht 100 Millionen Objekte aus allen Himmelsrichtungen. Wisotzki hält ein Stück Himmel in der Hand: „Das sind fast alles Sterne innerhalb unserer Milchstraße.“Zu erkennen sind Quasare nicht. „Ein richtiger unterscheidet sich auf diesen Aufnahmen durch nichts von einem normalen Stern. Erst das Spektrum verrät ihn.“

Spektren sind das Himmels-EKG der Astrophysiker. Die Forscher untersuchen das Licht, das die Sterne und Galaxien aussenden und übersetzen es in Kurven. Je nach Zusammensetzung der Galaxien entsteht anderes Licht und damit andere Linien, wie ein kleines Gebirge. Die Physiker können deshalb aus den Spektren auf den Absender schließen, aus welchem Material der Stern oder die Galaxie besteht, wie heiß die Materie dort ist, wie dicht, wie schnell sich das Objekt in welche Richtung bewegt.

Wisotzki ruft aus seiner Datenbank einen Quasar samt Spektrum auf den Bildschirm. Er deutet auf einen Mini-Gipfel in der Kurvenlandschaft. „Dieser Gnupsi hier steht für vierfach ionisiertes Neon.“Ach so. „Wenn sie den finden, ist der Fisch gegessen. Dann kann es sich nur um einen Mini-Quasar handeln.“

Die mühsame Suche nach den Himmelsleuchttürmen geht nur mit Hilfe von Computern. Tagsüber werden die Daten von einer Art Super-Scanner eingelesen, nachts werten sie die Rechner aus. Zehn Stunden braucht der Scanner für eine Fotoplatte, vier Stunden lang rödelt der Computer. Das Programm haben die Hamburger Forscher selbst entwickelt. „Wir schmeißen zuerst die Sterne mit ihren normalen Spektren raus, und was übrig bleibt, sind die Quasar-Kandidaten.“

Wenn Wisotzki morgens in sein Büro kommt, präsentiert ihm sein Rechner die Kandidaten wohlsortiert in einer elektronischen Kartei. Der Astronom nimmt sie noch einmal unter die Lupe. „Für die letzte Sicherheit müssen wir von dem Objekt eine einzelne Aufnahme mit einem größeren Teleskop machen“– im Fall von HE 2347 mit dem Hubble-Teleskop, das in der Erdumlaufbahn fliegt. Die Hamburger sind dort – wegen ihrer „ganz heißen Feger“– einer der häufigsten Gäste.

„Zwei Drittel unserer Kandidaten sind wirklich Quasare“, freut sich Wisotzki. Aber auch „was übrig bleibt“, ginge unter den Forscherkollegen „weg wie warme Semmeln“, weil ihre Spektren oft „äußerst merkwürdig“, unbekannt und damit von Forschers höchstem Interesse seien. Auf diese Art und Weise fand ein Schweizer Kollege mit den Hamburger Daten und typischen Gnupsis eine neue Gattung: den weißen Zwerg. Aber das ist eine andere Geschichte.

taz-Serie Voyeure, Teil 4: „Ja, wo schwimmen sie denn?“– ein Bademeister und sein Naßrevier, am Donnerstag, den 7.8.