Die Maske des Völkermords

■ Ein ungeheurer Fund liefert dem Jüdischen Museum Wien Anlaß zu einem neuerlichen "Versuch über die Shoa"

Der Wunsch der Witwe von Gustav von Hirschheydt, Oberpräparator am Anatomischen Institut der Reichsuniversität Posen, ist jetzt auf eine denkwürdige Weise doch noch in Erfüllung gegangen: Die Schädelabdrucke, Masken und Büsten, die ihr Mann auf Anfrage von Josef Wastl, dem Leiter der Anthropologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien, von ermordeten jüdischen Häftlingen der um Posen liegenden Konzentrationslager anfertigte, sind nun, nach 55 Jahren, tatsächlich „einer breiten Öffentlichkeit zugänglich“. Allerdings an einem Ort, an dem die kriminellen Geschäfte ihres Mannes und des mit ihm institutionell verbundenen, verbrecherischen wissenschaftlichen Apparats der reichsdeutschen Universitäten, naturwissenschaftlichen Sammlungen und Museen unverhüllt zutage treten. An einem Ort, an dem sich die Betrachter der anthropologischen Abgüsse des Skandals bewußt sind, daß die Menschen, derer sich der Oberpräparator bemächtigte, ermordet wurden. An einem Ort, an dem Hirschheydts „Schauobjekte“ zu Preisen von 25 Reichsmark der Schädel, 15 die Gipsmaske und 35 Reichsmark die Büste ein weiteres grausames Zeugnis des Holocaust sind: im Jüdischen Museum Wien.

Hier und heute werden die Arbeiten Gustav von Hirschheydts unter dem Titel „Masken – Versuch über die Shoa“ wohl erstmals richtig gewürdigt. Nämlich als die wissenschaftliche Maske eines gemeinen Mordes von individuellem Leben. Vor einer hohen Wand aus kühlem Industrieglas liegen nun 29 Totenmasken aufgebahrt. Bevor man diesen kargen Raum betritt, in dem keine Interpretationshilfe geduldet ist und kein Ausweichen in die historische Versachlichung durch den kontextualisierenden Kommentar, wird man allerdings über den Ursprung der Masken informiert.

Man ist mit der schockartigen Abfolge von Dias der Menschenversuche in den Lagern konfrontiert und bekommt Informationen zu Gustav von Hirschheydt, der sich beim Präparieren der von Josef Wastl im Februar 1942 bestellten Schädel mit Typhus infizierte und im Juni des gleichen Jahres starb. Man liest den Brief seiner Witwe, die bei Wastl nachfragt, ob er mit den Arbeiten ihres Mannes zufrieden sei, die doch einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Und man erfährt, daß Wastl nach dem Krieg selbstverständlich unbeschadet weitermachte, als erbbiologischer Gutachter und bis zu seinem Tod 1968 als erster Vizepräsident der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. In dieser Funktion dürfte es ihm ein leichtes gewesen sein, dafür zu sorgen, daß an jene besonderen Leichen auf dem Dachboden des Naturhistorischen Museums nicht gerührt wurde.

Erst 1991 waren dort die Totenschädel und die abgenommenen Masken entdeckt und daraufhin an die Israelitische Kultusgemeinde übergeben worden. Die Schädel wurden nach der Übergabe bestattet, während die Masken seitdem Bestandteil der Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde im Jüdischen Museum Wien sind.

Daß sie nun ausgestellt werden sollten, sorgte mit Bekanntwerden des Vorhabens in der jüdischen Gemeinde für Aufregung. Denn die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, schätzt die Würde der Toten sehr hoch ein, und eine Ausstellung von Masken oder Statuen der Verstorbenen ist mit ihr nicht vereinbar. Der nach dieser Ausstellung scheidende Direktor des Museums, Julius H. Schoeps, sowie die Kuratoren Felicitas Heimann-Jelinek und Hannes Sulzenbacher reagierten auf die Kritik aus der Gemeinde, indem sie ein rabbinisches Unbedenklichkeitsgutachten einzuholen suchten. Darüber hinaus erklärte die Führung der Israelitischen Kultusgemeinde nach eingehender Diskussion, daß es nicht ihre Aufgabe sei, die Halacha zu interpretieren. Mit der Eröffnung der Ausstellung am vergangenen Freitag differenzierten sich dann auch die Stellungnahmen.

Denn die Ausstellungssituation akzentuiert zunächst ganz deutlich die individuelle Auseinandersetzung mit den Exponaten. In durchaus Achtsamkeit gebietender Weise wacht nämlich je eine Videokamera über den Totenmasken. Während sie die Masken betrachten, werden die Besucher aufgenommen. Etwa 20 Minuten später, wenn sie die nachfolgende Sammlung nationalsozialistischer wissenschaftlicher Quellentexte aus dem medizinisch-anthropologischen Bereich studiert haben, sehen sich die Besucher im darauffolgenden Raum mit ihrem eigenen Schauen und ihrem eigenen Blick konfrontiert. Auch sie müssen sich jetzt als Objekte einer möglichen anthropologischen Verhaltensforschung betrachten, als Objekte einer anonymen Kontrollinstanz. Vor allem aber sehen sie sich damit konfrontiert, daß die anderen sie bei ihrem Schauen beobachten können; so wie sie die anderen sehen. Glücklicherweise wird in diesem peinvollen Blickwechsel deutlich, daß die Abgüsse entgegen der ursprünglichen Intention funktionieren. Nicht Demonstrationsobjekte lebensunwerten Lebens, sondern das individuelle Subjekt schaut zurück, dem sein grausam erlittener, ungerechter Tod ins Gesicht geschrieben steht. Das läßt sich an den Blicken der Betrachter ablesen.

Entgegen ersten Vorbehalten werden auch seine Kritiker dem riskanten Wiener Versuch über die Shoa Respekt zollen müssen. Denn anhand der vorgefundenen Masken, dieser denkwürdigen Materialisierung des Rassenwahns, gelingt es der Ausstellung auf eindrücklich unpathetische Weise zu zeigen, daß Mord das nationalsozialistische Programm war, dem deutsche Wissenschaft und deutsche Wissenschaftler eine vorgeblich unangreifbare Maske gaben. Die Ratlosigkeit über die Frage, ob und wie die Shoa überhaupt darstellbar ist, wird durch diese Aufklärung keineswegs negiert. Samuel Laster/Brigitte Werneburg

Bis 26. Oktober im Jüdischen Museum Wien, Palais Eskeles