"Produktiver Streit bringt uns weiter"

■ Interview mit dem zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Walter Riester, zur Tarifpolitik und zur Rolle der Bundesregierung. Riester kann nicht nachvollziehen, warum DGB-Chef Schulte auf die Steuerrefor

taz: Herr Riester, Sie haben Anfang des Monats davon gesprochen, die IG Metall müsse künftig „einen völlig anderen Weg“ gehen, wenn die Metallarbeitgeber trotz der moderaten Lohnabschlüsse weiterhin Arbeitsplätze abbauten. An welchen Weg denken Sie?

Walter Riester: Es geht zunächst einmal darum, in den Bereichen, in denen Bedarf herrscht, auch Arbeitsplätze zu schaffen. Die Impulse dafür können wir nicht nur über die Tarifpolitik entfachen, sondern die Wirtschafts-, Struktur-, Steuer- und Finanzpolitik muß so ausgerichtet werden, daß die brachliegenden Potentiale im Umwelt-, Gesundheits- und Bildungsbereich auch mobilisiert werden.

Welche tarifpolitischen Instrumente kann die IG Metall zum Beschäftigungsaufbau einsetzen?

Ein sehr konkreter Beitrag dazu ist der von uns angestrebte Altersteilzeittarifvertrag, der einerseits für ältere Arbeitnehmer die Möglichkeit des gleitenden Übergangs in die Rente schafft und anderseits jungen Leuten neue Beschäftigungschancen eröffnet.

Die Verhandlungen darüber sind doch gescheitert.

Wenn wir jetzt in Baden-Württemberg keine Verhandlungslösung für einen entsprechenden Flächentarifvertrag bekommen, werden wir im September über die Urabstimmung entscheiden.

Sind die Metaller für die Altersteilzeit zu mobilisieren?

Ja, da bin ich mir sehr sicher, weil alle sehen, daß mit der Heraufsetzung des Rentenzugangsalters auf 65 und der zunehmenden Unsicherheit in den Betrieben der Druck immer größer wird.

Bezüglich der von Klaus Zwickel vorgeschlagenen weiteren Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden sieht die Lage aber anders aus. Davon halten viele Mitglieder und Funktionäre nichts.

Ob die Verkürzung auf einheitlich 32 Wochenstunden der richtige Weg ist, wird bei uns sehr kontrovers diskutiert. Aber ich glaube, daß Klaus Zwickel hier auch zum Teil falsch interpretiert wird. Auch die Tarifverträge zur 35-Stunden- Woche weisen ja ein differenziertes Bild auf. Während ein Teil der Beschäftigten weiter 40 Stunden arbeitet, bieten die Verträge auf der anderen Seite die Möglichkeit, die Stundenzahl in Betrieben kollektiv auf bis zu 30 Wochenstunden zu senken.

Darüber hinaus wird über die Frage des Lohnausgleichs debattiert. Insgesamt sehe ich einen sehr produktiven Streit, der uns alle weiterbringt.

Arbeitgeberfunktionär Hans Peter Stihl jedoch hat die Forderung als „hirnrissig“ bezeichnet. Der Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber in NRW spricht „vom Todesstoß für ein Drittel“ der Branche .

Solche Töne überraschen mich nicht. Stihl hat sich auch vor dem Arbeitskampf 1984 ähnlich positioniert. Damals lautete sein Schlachtruf, lieber sieben Wochen Arbeitskampf als eine Minute unter 40 Wochenstunden. Davon sollte man sich nicht schrecken lassen.

Die IG Chemie hat gerade einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag zugestimmt, die es einzelnen Unternehmen erlaubt, bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten den Lohn zu senken. Eine solche Härteklausel gibt es im Metallbereich bisher nur im Ostdeutschland. Ist ein Vertrag nach dem Chemie-Muster für die IG Metall auch im Westen denkbar?

Nein, denn die Chemie-Vereinbarung unterscheidet sich in einem ganz wichtigen Punkt von der Härtefallregelung im Metallbereich. Wir haben eine Sanierungsregelung, die es von Konkurs bedrohten Unternehmen im Westen wie im Osten erlaubt, vom Tarifvertrag abweichende Sonderregelungen mit der IG Metall zu treffen. Nach dem Chemietarifvertrag können Entgeltkürzungen dagegen auch zur Verbesserung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit erfolgen. Das ist etwas ganz anderes.

Auch die Metallarbeitgeber fordern mit Blick auf die internationalen Konkurrenzbedingungen erweiterte Öffnungsklauseln.

Dafür gibt es keinen Grund. Fakt ist, daß die Wettbewerbsstärke der deutschen Metall- und Elektroindustrie noch nie so stark gestiegen ist wie in den Jahren von 1990 bis 1996. 1991 hatten wir in diesem Sektor einen Außenhandelsüberschuß von 105 Milliarden Mark. Im letzten Jahr lag dieser Überschuß bei 168 Milliarden Mark.

Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte hat eine härtere Gangart bei künftigen Tarifverhandlungen angedroht, falls die Steuerreform scheitern sollte. Die Arbeitnehmer hätten auch in Erwartung von Steuerentlastungen auf größere Lohnzuwächse verzichtet. Sehen Sie das ähnlich?

Mich haben diese Äußerungen sehr überrascht. Ich habe bisher bei den von der Bundesregierung vorgesehenen Steuerveränderungen die Entlastung für die Beschäftigten nicht erkennen können. Wir können auch die damit verbundenen Steuerausfälle in Höhe von 30 bis 45 Milliarden Mark nicht akzeptieren. Deshalb verstehe ich das Drängeln nicht. Diese Steuerreform darf so nicht kommen. Wir haben zudem die Löhne und Gehälter für das nächste Jahr schon vereinbart. Für uns steht also weder eine tarifpolitische Strafaktion zur Steuerpolitik an, noch würde ich die Tarifpolitik daran koppeln.

Interview: Walter Jakobs