Architekten und Ratten gehen über Leichen

■ Unwahrscheinlich, aber nicht unwahr: „Totenstill“, ein politischer Comic der Hamburger Zeichnerin Isabel Kreitz

Herr Heinrich ist Architekt. Und Herr Heinrich hat gute Kontakte zur SPD. Was das in Hamburg heißt, braucht eigentlich nicht erzählt zu werden. Es ist all denen zur Genüge bekannt, die regelmäßig in diese Zeitung schauen. Daß Herr Heinrich aber einen Vater hatte, der für die Nationalsozialisten eine neue Elbrandbebauung entwarf, die der Sohn nun im Zuge der sogenannten Sanierung zwischen Heinricheihafen und Övelgönne wiederverwendet, ist schon brisanter. Daß ein Herr Heinrich ohne Zögern über Leichen geht und zum Mörder wird, um diese Übernahme geheim zu halten, erzählt uns das dritte Heft von Isabel Kreitz' Comic-Serie Ralf: Totenstill.

Ralf, Titelheld der Serie, ist S-Bahn-Surfer gewesen. Sein Gesicht wurde dabei durch einen Unfall entstellt. In den beiden ersten Folgen berichtet Kreitz, wie er deshalb in die Kanalisation Hamburgs flieht, bis er „entdeckt“und zum Medienstar wird. Nun ist er aufgrund seiner Deformation reich, aber einsam und unglücklich.

In Totenstill schließlich hat Ralf es satt, sein Leiden weiterhin zu verkaufen. Bis ihn Geldsorgen zu einem letzten Auftrag zwingen, bei dem er allerdings von seinem Agenten beschissen wird: Ralf muß nicht nur sein Gesicht ausstellen, sondern auch noch Bungee-springen. Aus Rache bricht er dem Agenten das Genick.

Totenstill handelt von zwei ganz unterschiedlich motivierten Morden. Architekt Heinrich hat Angst um seinen Status, Ralf rächt sich für die erlittene Schmach. Während der Architekt das mörderische System, die aus dem Nationalsozialismus entstandene plurale Pfründe-Demokratie, repräsentiert, stellt Ralf die Figur scheiternder Subversion dar.

Es ist unnötig, Kreitz solche Schematismen vorzuwerfen. Ihre Comics leben davon, die Klischees der Hamburger Lebenswelt – von der Kiez-Szene bis zur autonomen Durchschnitts-Moral – ins Unwahrscheinliche, aber darum nicht Unwahre zu ziehen. Die Darstellung des lädierten Ralf zitiert die Zombies amerikanischer Horror-Comics, und solche Zitate bewahren Totenstill davor, nur bedeutsam zu sein. Kreitz hat Spaß am Trivialen, weil sie um dessen Kraft weiß, die Normierung des Alltags ohne lästigen Zeigefinger besserwisserischer Moral zu thematisieren.

Totenstill gibt keine Antwort, ob der Mord des Architekten zu verachten und die tödliche Rache von Ralf zu verstehen oder sogar als Kampf gegen die Verwertung seines Leidens zu rechtfertigen ist. Beider Tat bleibt unentdeckt. Heinrichs Ansehen leidet nicht, Ralf kehrt in die Kanalisation zurück. Es wird totenstill, und in dieser Stille artikuliert sich eine produktive Ratlosigkeit.

Die Ralf-Serie, in der Isabel Kreitz von der Story über die Zeichnungen bis zu den Sprechblasentexten alles selber macht, dokumentiert ihre Entwicklung als Comic-Autorin. Während die ersten beiden Bände ein wenig unbeholfen wirken, läßt Totenstille eine erzählerische und zeichnerische Perfektion erkennen, die schon jetzt dazu geführt hat, daß Kreitz die bekannteste Comic-Zeichnerin Hamburgs ist.

Als solche macht sie aus ihrer Verbundenheit mit dieser Stadt keinen Hehl. Alle ihre Comics spielen mit dem norddeutschen Lokalkolorit. Daß sie dabei nicht in Provinzialität verfällt, davor schützt sie ihre Professionalität, die ihr jüngst den Preis des Hamburger Comic-Festivals 1997 einbrachte. Es ist nicht ihre erste Auszeichnung. Doch die kümmerlichen 2000 Mark Preisgeld, die sie dort erhielt, bewiesen ein weiteres Mal, wie schwierig es ist, von der Profession, Comics zu zeichnen, leben zu können. Wer es versucht, muß so produktiv wie Isabel Kreitz sein.

Die Absolventin der Fachhochschule für Gestaltung in der Armgartstraße hat in den letzten Jahren an den Ottifanten mitgearbeitet, den eigenen Strip Heiß und Fettig produziert, zwei Alben im Carlsen-Verlag herausgebracht und zuletzt mit Ulrike Renneberg eine Broschüre von zweifelhaftem Wert bei der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung veröffentlicht: Unter uns, eine nur gut gemeinte Story über Jugendliche, die mit nationalsozialistischen Parolen kokettieren. Auf solch plakatives Gut-Meinen verzichtet Kreitz in ihrer Ralf-Serie. Sie erscheint im kleinen Hamburger Zwerchfell-Verlag, der sich durch eine angenehm gelassene Herausgabe preiswerter, charmanter Comics einen Namen gemacht hat.

Mit dieser geschickten Veröffentlichungspolitik sichert sich Kreitz nicht nur die Anerkennung über die Grenzen Hamburgs hinweg, sondern auch den Respekt in der Hamburger Comic-Szene. Daß die Etablierung nicht zu einer sozialdemokratischen Entpolitisierung führen muß, das beweist sie in Totenstill. Ole Frahm

Isabel Kreitz: „Totenstill“, Zwerchfell-Verlag, 9.80 Mark.

Isabel Kreitz/Ulrike Renneberg: „Unter uns“, Hamburger Landeszentrale für politische Bildung