Ein Goldesel auf dem Mars

■ Die Mars-Expedition zeigt, daß Roboter wie Sojourner langsam für die irdische Wirtschaft interessant werden

Das Mars-Fieber grassiert. Daß sich Pathfinders Schnappschüsse von den Viking-Bildern vor gut 20 Jahren kaum unterscheiden, tut der Euphorie über die Mars-Mission keinen Abbruch. Unter jedem Stein, den der Mars-Roboter Sojourner mit seinem Röntgenspektrometer beschnüffelt, vermuten Medien und Wissenschaftler die langersehnten Marsmikroben.

Der Hintergrund der Mission ist jedoch unspektakulär: Es geht um Geld. Sojourner ist ein – zugegebenermaßen unscheinbares – Exemplar jener neuen Generation von mobilen Robotern, in dem Experten einen milliardenschweren Zukunftsmarkt sehen – auf der Erde.

Die Größe dieser künstlichen Goldesel reicht von Kakerlaken bis zu kleinen Jeeps, sie staksen auf Spinnenbeinen oder rollen auf Rädern. Entsprechend vielfältig sind die Einsatzmöglichkeiten, die ihre Erfinder sehen: Sie räumen Minen oder klettern in Vulkane. Schwärme von winzigen „Nano- Robots“ sollen Erdbebentrümmer durchkämmen, um Überlebende zu finden. „Bisher standen solche Anwendungen im Vordergrund, bei denen die Aufgaben für Menschen zu riskant sind. Inzwischen geht es aber um Produktivität“, erklärt Red Whittaker, Professor an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh und einer der Pioniere auf dem Gebiet. Landwirtschaft und Tagebau seien die ersten großen Absatzmärkte, auf denen mobile Roboter demnächst durch Qualität überzeugen sollen.

„Die Robotik ist jetzt da, wo die Automobiltechnik Ende der 20er Jahre stand, etwa beim Modell T von Ford. Das heißt, die Zeit der Experimente ist vorbei. Was nun kommt, ist die erste Massenproduktion“, sagt Whittaker. Die vielen kleinen Robotik-Firmen, die seit einigen Jahren in Pittsburgh entstehen, sind für ihn deutliches Zeichen einer Aufbruchstimmung in der Branche.

Im Unterschied zu den Fabrikrobotern der 80er Jahre oder den Laborprototypen der frühen 90er finden sich die neuen mobilen Roboter in unbekanntem Gelände zurecht. „Mit der Entwicklung von selbstlenkenden Robotern ist in den letzten fünf Jahren eine wichtige Schwelle in der Robotertechnologie überschritten worden“, erklärt Dave Lavery, der das Telerobotik-Programm der Nasa leitet.

Ausgefeilte Navigationssysteme sorgen dafür, daß die Roboter sich ein Bild von der Außenwelt machen können. Die gebräuchlichen Methoden sind das Abtasten der Umgebung mit Laserstrahlen und die Bildverarbeitung.

Auch Sojourner kriecht so durch den roten Staub des Mars. Hierbei wird ein mit einer normalen Kamera aufgenommenes Bild vom Bordcomputer eingescannt und Bildpunkt für Bildpunkt auf Kontraste, Farbe und Intensität untersucht. Ergebnis ist eine „Tiefenkarte“, die dem Roboter sagt, in welcher Richtung und Entfernung ein Hindernis zu erwarten ist. Dieses Verfahren ist aber nur mit leistungsstarken Rechnern möglich. Sojourners Zwei-Megahertz-Rechenchip kann gerade einmal 20 Punkte der Umgebung verarbeiten. Zum Vergleich: Moderne Personalcomputer laufen mit hundert oder zweihundert Megahertz, schießen also mit einer Frequenz von hundert oder zweihundert Millionen Schwingungen in der Sekunde die Informationen durch die digitalen Schaltkreise.

„Der letzte Stand der Robottechnik ist Sojourner nicht“, gibt Jacob Matijevic zu, einer der Nasa- Verantwortlichen für Sojourners Operationen auf dem Mars. Aber maschinelle Kriecher mit modernster Computertechnik sind laut Professor Whittaker „reif für den Markt“.

Hierzulande gibt man sich zurückhaltender. Rüdiger Dillmann, Professor am Institut für Prozeßrechensysteme und Roboter der Uni Karlsruhe, sieht zwar die deutsche und die US-amerikanische Forschung bei mobilen Robotern gleichauf. „Von Robotern, die richtig sehen können, sind wir aber noch weit entfernt“, sagt Dillmann.

Die Kommerzialisierung der neuen Technologie wird in den USA allerdings mit Nachdruck betrieben. In ihrem Telerobotik- Programm hat die Nasa die führenden Robotik-Institute am MIT, an der Stanford-Universität und an der Carnegie-Mellon-Universität zusammengeschlossen. „In den USA gibt man Technologiesprüngen eben mehr Kredit“, erklärt Dillman die noch fehlende Aufbruchstimmung in der deutschen Wirtschaft. Hier mischen bisher nur große Konzerne wie Siemens mit, das auf der letzten Hannover- Messe ein Navigationssystem für einen neuen Reinigungsroboter vorgestellt hat. Denn, so Rüdiger Dillmann: „Von Robotern leben kann man noch nicht.“ Niels Boeing