Ehrenbürger mit Nazivergangenheit

Nürnberg will Rüstungsfabrikant Karl Diehl zum Ehrenbürger ernennen. Während der NS-Diktatur ließ er Häftlinge eines Konzentrationslagers und Zwangsarbeiter für sich arbeiten  ■ Von Bernd Siegler

„Er soll die Größe besitzen und selbst öffentlich zu seiner Vergangenheit Stellung nehmen.“ Die bündnisgrüne Landtagsabgeordnete Sophie Rieger aus Nürnberg ist ratlos. Am Mittwoch will die Stadt den Fabrikanten Karl Diehl zum Ehrenbürger küren. Niemand stört sich daran, daß er im Dritten Reich Zünder und Granaten produzierte, Zwangsarbeiter und KZ- Häftlinge ausbeutete. Auch heute macht Diehl mit Rüstungsgütern Geschäfte.

Als 31jähriger übernahm Karl Diehl 1938 nach dem Tod seines Vaters die Leitung des „Metall-, Guß und Preßwerkes Heinrich Diehl“ mit damals 2.800 Beschäftigten. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stieg er in die Rüstungsproduktion ein. Nach Kriegsende produzierte Diehl zunächst Uhren und Waggons, nach Gründung der Bundeswehr, „gestützt auf die jahrzehntelangen Erfahrungen, die vor und während des Krieges gesammelt werden konnten“ (Karl Diehl), aber wieder Rüstungsgüter wie Panzerketten, Munition, Zünder und Raketen. „Deutschlands diskretester Milliarden-Konzen“ (FAZ) erzielte im vergangenen Jahr mit 12.590 Beschäftigten einen Umsatz von knapp 2,7 Milliarden Mark.

Heute ist Karl Diehl 90 Jahre alt, und Sohn Thomas steht an der Konzernspitze. Doch hält Karl Diehl als Vorsitzender des Verwaltungsrats die Zügel in der Hand. In den letzten Jahren tat er sich als Wohltäter für Bedürftige und Mäzen für den Wiederaufbau von Baudenkmälern in Nürnberg hervor.

Nach dem Tod der beiden bisherigen Nürnberger Ehrenbürger, der ehemaligen Bundesministerin Käte Strobel und dem jüdischen Literaten Hermann Kesten, suchte die Stadt einen neuen Würdenträger. Für die seit März 1996 regierende CSU war klar, daß Diehl neben vier weiteren Politikern und Unternehmern der geeignete Kandidat sei.

Einzig die Bündnisgrünen waren von Anfang dagegen, später auch die SPD. Ein Rüstungsfabrikant, der noch dazu „seine Rolle im Dritten Reich verschweigt“, sei, so die grünen Stadträte, in der „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ (Eigenwerbung Nürnberg) nicht tragbar. Vergeblich verwies Sophie Rieger noch vor der Stadtratsentscheidung darauf, daß Karl Diehl schließlich 1945 von den Alliierten wegen seiner politischen Beziehungen im Dritten Reich Funktionsverbot erhalten hatte. Solche Entlassungen hatten Spruchgerichtsverfahren zur Folge. Da Diehl noch lebt, ist sein Spruchgerichtsurteil jedoch nicht zugänglich. Ein öffentliches Interesse daran hätte zwar der Stadtrat anmelden können, aber eine Mehrheit aus CSU, FDP, Freien Wählern und einem „Republikaner“ wischte alle Bedenken wegen Diehls Vergangenheit und seiner Geschäfte mit Rüstungsgütern vom Tisch.

Rieger ließ die Sache jedoch nicht ruhen. Vom Bundesarchiv in Berlin erhielt sie jetzt die Vorschlagsliste Nr. 1116 für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes I. Klasse (ohne Schwerter) vom 26. Januar 1943. Auf der Liste steht der „Betriebsführer“ Diehl, der nicht nur in „vorbildlicher Weise die vorhandenen Fabrikanlagen für die Rüstung ausgebaut“ habe, sondern auch „ehrenamtlich in den Organisationen des Reichs und der Wirtschaft“ tätig gewesen sei. Sehr lobenswert fanden es die NS- Machthaber, daß Diehl seinen Personalstand von 3.200 im Jahre 1939 auf 8.500 im Jahr 1942 steigerte.

Unerwähnt bleibt, daß ein großer Teil davon, wie in vielen anderen Betrieben auch, Zwangsarbeiter waren. Zumeist waren dies Ostarbeiter. Sie waren nicht nur rechtlos und vogelfrei, sondern „zum Verbrauch bestimmt“, wie es im Behördenjargon hieß. Sie mußten sich regelrecht totarbeiten.

Im Nürnberger Stadtarchiv finden sich Schreiben der Firma Diehl, adressiert an den Suchdienst der Hilfs- und Wiederaufbau-Organisation der Vereinten Nationen (UNRRA), der damals im Polizeipräsidium Nürnberg residierte. Inhalt der Schreiben: ein Verrechnungsscheck der Bayerischen Staatsbank Nürnberg vom 17. Juni 1947 mit der Nummer 379785 über genau 39.137,78 Reichsmark. Verwendungszweck: „Lohngelder für Ausländer aus dem Jahr 1945“. Laut Verordnung der Alliierten mußten die Firmen solche einbehaltenen Lohngelder an den UN-Suchdienst zurückgegeben. In einer weiteren Zusammenstellung vom 15. 12. 1947 finden sich Guthaben „ausländischer ehemaliger Gefolgschaftsmitglieder“ in Höhe von 58.280,62 Reichsmark. Darunter „Ostarbeiter-Sparmarken“, „Lohnersparnisse für Italiener“ und ein Konto „Abwicklung Fliegerschäden der fremdvölkischen Arbeitskräfte“.

Wo diese „fremdvölkischen Arbeitskräfte“ bei Diehl wohnten, geht aus der offiziellen Liste des International Tracing Service der Alliierten hervor. In diesem im Juli 1949 in Arolsen herausgegebenen „Catalogue of Camps and Prisons“ steht unter der Rubrik Röthenbach: „CWC – Diehl, Brunnenstr. 9, 20. 7. 40 – 13. 7. 43“. CWC steht für Zivilarbeitslager. Doch Diehl beschäftigte nicht nur „Zivilarbeiter“, sondern auch KZ-Häftlinge. In der gleichen Liste steht unter Münchberg (Oberfranken): „CC Kdo. of Flossenbuerg“ – Arbeitslager Muenchberg, Metall-, Guß- u. Presswerk Heinrich Diehl GmbH – closed before 13. 4. 45. Ein Außenkommando des KZ Flossenbürg.

Über die Umstände, unter denen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bei Diehl arbeiten mußten, ist nichts bekannt. Nürnbergs CSU-Oberbürgermeister Scholz reagierte auf die Aufforderung, sich über Diehls Vergangenheit sachkundig zu machen, nicht. Zuvor schon hatte CSU-Fraktionsvorsitzender Klemens Gsell eindeutig Stellung bezogen: „Ich habe keine Lust mehr, die braune Geschichte meiner Stadt ständig auf meinen Schultern zu tragen.“