Die Arbeitslosigkeit bleibt stabil hoch

Leichter Rückgang im Juni, doch 4,2 Millionen Menschen sind ohne Job. Düstere Aussichten auf dem Lehrstellenmarkt. Neues Milliardenloch für Bundesfinanzminister Waigel  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Nichts wie Hiobsbotschaften aus der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA). Auch im Juni ist die lang erhoffte Wende am Arbeitsmarkt ausgeblieben. 4,22 Millionen Arbeitslose sind zwar 33.200 weniger als Ende Mai, aber normalerweise geht die Arbeitslosenzahl zu diesem Zeitpunkt weitaus deutlicher zurück. Auf dem Lehrstellenmarkt sieht es genauso schlecht aus, denn 275.000 noch unvermittelten Bewerbern stehen lediglich 111.700 freie Plätze gegenüber.

Düstere Aussichten auch für den von Haushaltslöchern geplagten Bundesfinanzminister Theo Waigel: Mit dem im Bundeshaushalt vorgesehenen Zuschuß von 4,1 Milliarden Mark kommt die BA bei weitem nicht aus. BA-Vizepräsident Leven bezifferte das Gesamtdefizit, das der Bund zu decken hat, auf 14 bis 15 Milliarden Mark.

Die Arbeitslosigkeit liegt in Deutschland nach wie vor weit über den Vorjahreswerten. Ende Juni 1997 waren 437.800 mehr Menschen ohne Arbeit als ein Jahr zuvor, das entspricht einer Steigerung von zwölf Prozent. BA-Präsident Bernhard Jagoda machte für diese Entwicklung das „Lahmen der Investitionen und des Konsums im Inland“ sowie die geringere Entlastung durch aktive Arbeitsmarktpolitik verantwortlich. Arbeitsbeschaffungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie Altersübergangsgeld entlasten den Arbeitsmarkt nurmehr um 1,1 Millionen, das sind 300.000 weniger als im Vorjahr. Zwei Drittel dieses Rückgangs entfallen allein auf die neuen Bundesländer. Dort ist auch die Zahl der Arbeitslosen nicht, wie für einen Juni üblich, zurückgegangen, sondern sogar um 3.400 auf jetzt knapp 1,3 Millionen gestiegen. Die Quote mit 17,3 Prozent ist nun fast doppelt so hoch wie im Westen.

Trotz der negativen Werte sieht Jagoda in der aktuellen Entwicklung eine „Stabilisierung auf hohem Niveau“. Für den Chef des BA-eigenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Gerhard Kleinhenz, hat der Arbeitsmarkt gar seine „Talsohle erreicht“. Als Indizien dafür führen beide an, daß in den letzten Monaten die Neuzugänge in die Arbeitslosigkeit aus Erwerbstätigkeit immer unter den Werten des Vorjahres gelegen haben und die Erwerbstätigkeit in Deutschland in den letzten Monaten nicht mehr gesunken ist. Sie liegt derzeit bei 33,93 Millionen, das sind gut 500.000 weniger als vor einem Jahr.

Auch der Tatsache, daß ABM, Fortbildung und Altersübergangsgeld gesunken sind und die Arbeitslosigkeit trotzdem nicht im gleichen Maße angestiegen ist, kann Jagoda etwas Positives abgewinnen. „Die Kräfte auf dem Arbeitsmarkt sind gut“, betonte er. Eine Forderung nach mehr Mitteln für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen stellte er nicht.

Angesichts der ungebremst hohen Arbeitslosigkeit spitzt sich die Haushaltslage bei der BA zu. Schon im ersten Halbjahr wurden 9,6 Milliarden mehr ausgegeben als eingenommen. Nach Berechnungen von BA-Vizepräsident Leven muß der Bundesfinanzminister zusätzlich zehn bis elf Milliarden nach Nürnberg überweisen. Angesichts des erwarteten Milliardendefizits rechnet Jagoda offenbar mit verstärkter Kritik an seiner Behörde. Ungewöhnlich scharf reagierte er deshalb auf Äußerungen des Vorsitzenden der SPD- Bundestagsfraktion, Rudolf Scharping. Der hatte gefordert, die Bundesanstalt sollte „ihren Wasserkopf in Nürnberg abbauen“. Jagoda wies Scharping darauf hin, daß die BA seit Beginn seiner Amtszeit ihr Personal um zehn Prozent verringert hätte. In Nürnberg säßen zudem nicht einmal ein Prozent der Beschäftigten der Arbeitsverwaltung. „Wir sind fleißige und sehr kreative Leute, die in schwierigen Zeiten glänzende Arbeit leisten“, hielt er Scharping entgegen und verwies auf die 14.000 Lehrstellen, die Mitarbeiter der Arbeitsämter allein am 18. Juni, dem Tag des Ausbildungsplatzes, geworben hätten.

Daß diese Zahl bei weitem nicht ausreicht, um die Lücke auf dem Ausbildungsmarkt zu schließen, weiß man auch in Nürnberg. Unter Berücksichtigung derjenigen Schulabgänger, die angesichts der Lehrstellenmisere nun doch weiterführende Schulen besuchen, kommt Jagoda auf einen akuten Bedarf von gut 50.000 Ausbildungsstellen. „Wenn wir das schaffen, dann sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.“