Kohl und Stoiber stecken in der Stabilitätsfalle

■ So deutlich die inhaltliche Übereinstimmung in der 3,0-Frage zwischen dem Kanzler und Bayerns erstem Mann auch ist – die Abneigung Kohls ist unübersehbar

Nichts Neues vom Kanzler. Kohl sagt, „was ich seit Jahren sage“. Kohl sagt, da habe sich „kein Komma verändert“. 3,0 sei das Defizitkriterium für den Euro, „da wird sich nichts ändern“, verkündet der CDU-Vorsitzende am Montag abend nach der Sitzung der Führungsgremien seiner Partei. Soviel betont Selbstverständliches läßt stutzen, soviel Klarheit wirft Fragen auf. Zunächst die nach Edmund Stoiber. Der bayerische Ministerpräsident hatte noch tags zuvor gedroht, daß die CSU werde „Konsequenzen ziehen müssen“, wenn die Stabilitätskriterien nicht eingehalten werden. Denn wer die „heute nicht mehr so ernst nimmt wie 1992, der zerstört das Vertrauen in die Politik und schafft veränderte Mehrheiten in Deutschland“.

Das sitzt, das sorgt für Verärgerung in der CDU-Spitze. Einen „Kriterien-Fetischisten“ hat Heiner Geißler den Edmund Stoiber gescholten. Doch nun huldigt Kohl dem gleichen Fetischismus. Auch für ihn ist die Stabilität „nicht irgendeine Frage“, sonder „psychologisch vor der Nationalflagge und Nationalhymne angesiedelt“.

So deutlich die inhaltliche Übereinstimmung zwischen Kohl und Stoiber, so tief ist die Abneigung. Er habe nicht Stoiber zu kommentieren, bescheidet er den Journalisten, gerade so, als hätte er nicht erst jüngst bei der Regierungskonferenz in Amsterdam seinem Ärger über dessen „ungewöhnlich törichtes Gerede“ Luft gemacht. Er fühle sich „durch nichts beschwert“, blafft er seinen Ärger über dessen öffentliche Schulmeisterei den Nachfragern ins Gesicht.

Dieser Ärger sitzt tief. Er nährt sich aus dem Ungemach, von der bayerischen Schwesterpartei vorgeführt zu werden. „Der Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“, so steht es in der Verfassung, so sollte es zumindest für die Europapolitik noch gelten. Und nun wächst sich, was als Zweikampf zwischen Stoiber und Waigel begann, zu einer Belastung der Union aus, die auch den CDU- Vorsitzenden in Mitleidenschaft zieht. Von einer Wagenburgmentalität zwischen den Lagern um Kohl und Stoiber ist die Rede. Der noch herrschende Burgfrieden wurde zuletzt erheblich durch das CSU-Vorstandsmitglied Markus Söder gestört. Der bayerische JU- Vorsitzende räsonierte am Wochenende über einen Austritt der CSU aus der Koalition und der Fraktion. Ähnliches hat Helmut Kohl schon mal durchgemacht. Damals, 1976, hatte Franz-Josef Strauß im Wildbad Kreuth mit Trennung gedroht – und schnell wieder den Kopf einziehen müssen, als der damalige und heutige CDU-Vorsitzende im Gegenzug mit dem Einmarsch seiner Partei in Bayern drohte.

Nicht nur deshalb beeilte sich Theo Waigel, diesen Drohungen aus seiner Partei eine klare Abfuhr zu erteilen. Der Trennungsgewinn, so sein Kalkül, „wäre geringer als der Konkurrenzverlust“. Nun ist Waigels Dementi in dieser Frage weit weniger spannend als die Position Stoibers, sehen doch so manche in der CDU in Söders Äußerung einen vom Ministerpräsidenten gestarteten Testballon. Mehr noch als die Stimmung bei der Schwesterpartei und deren Vorsitzenden dürfte damit das Standing des CSU-Vorsitzenden ausgelotet werden. Denn durch die CSU geht ein Riß zwischen den Bundespolitikern und den Landes- und Bezirksfürsten. Letztere treibt die Sorge um, bei den Landtagswahlen im Herbst kommenden Jahres nicht in den Abwärtsstrudel zu geraten, in dem man die Bundespolitik der Union bereits wähnt. Deshalb die heftigen Absetzbewegungen Richtung Bonn, nicht nur deshalb die Attacken und Sticheleien Stoibers gegen Waigel.

Noch vor wenigen Wochen lief in der Bonner Koalition die Konfliktlinie zwischen Waigel und der FDP. Letztere wollte und will partout keine Steuererhöhung, und Waigel mußte in dieser Frage nachgeben. Das gab Stoiber die Gelegenheit, den CSU-Vorsitzenden auf die Beschlußlage seiner Partei festzunageln. Die lautet: Das Defizitkriterium ist 3,0. Bislang hat die Regierungskoalition noch keinen Einklang zwischen diesen Kriterien im Haushalt hergestellt. Diesen Auseinandersetzungen der letzten Wochen entzog sich der Bundeskanzler durch intensive Reisetätigkeit. Noch während des Weltwirtschaftsgipfels in Denver verkündete er frohgemut, manch deutsche Diskussion werde international nicht zur Kenntnis genommen.

Doch richtet sich zumindest die europäische Aufmerksamkeit zunehmend darauf, was in Bonn passiert. Als „ungesund“ klassifizierte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker gestern die deutsche Debatte um die Einhaltung der Kriterien für die Währungsunion. Der neue Ratspräsident befürchtet, daß die anderen EU-Staaten den Eindruck gewännen, daß sie sich nicht mehr anzustrengen bräuchten, da die Deutschen eine Aufweichung der Kriterien in Kauf nähmen.

Zumindest Frankreich könnte eine solche Entwicklung recht sein. Die Regierung in Paris geht bereits davon aus, daß das Defizitkriterium 3,0 nicht eingehalten wird und hofft auf eine Unterstützung oder zumindest Duldung Deutschlands. Das wäre eigentlich naheliegend, gehen doch die diversen Wirtschaftsinstitute von der Bildung einer großen Währungsunion unter Verletzung der strengen Kriterien aus. Das wäre auch möglich, sieht doch selbst der neue Präsident des EU-Währungsinstituts, Willem Duisenberg, „keine Katastrophe“, wenn ein Land sich mit 3,2 Prozent qualifiziere.

In einem solchen europapolitischen Umfeld könnte eigentlich auch die Bundesregierung mit ihrem zu erwartenden leicht erhöhten Haushaltsdefizit sanft landen. Mehrfach haben führende Vertreter der FDP und der Union in den letzten Wochen diese Landung mit einer weichen Auslegung des Defizitkriteriums vorbereitet. Nun hat Stoiber das Manöver durchkreuzt. Durchstarten oder Bruchlandung, Euro verschieben oder Kriterium verfehlen, so lautet nun die Alternative. Bonn habe sich, so der Vorsitzende des Rats der sogenannten Wirtschaftsweisen, Herbert Hax, sowohl bei Kriterien als auch beim Starttermin festgelegt. Um sich aus dieser Zwangslage zu befreien, müsse „Bonn nun das eine oder andere verletzen“.

Schafft die Koalition, trotz weiterer Einschnitte in den Haushalt, das Kriterium nicht, droht dem Kanzler auf jeden Fall eine Schädigung seiner Reputation. Erst vor wenigen Tagen mußte er einräumen, mit seinem Versprechen, die Arbeitslosenzahlen zu halbieren, gescheitert zu sein. Darunter hat sein nationales Ansehen gelitten. Sollte er nun noch, was absehbar ist, an dem selbstgesteckten Zielen in der Währungspolitik scheitern, wäre auch die internationale Achtung dahin. Damit würde die Debatte um die Bildung der Währungsunion im kommenden Frühjahr für die Opposition ein willkommener Auftakt des Wahlkampfs werden. Er sei strikt dagegen, so Kohl, daß Deutschland als Präzeptor anderer auftrete. Wie recht er hat, das hat an ihm Edmund Stoiber exerziert. Dieter Rulff