„Ich bin ein 150prozentiger“

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber legt sich mit Bundeskanzler Helmut Kohl an und profiliert sich als ausgemachter Euro-Gegner. Die Irritationen in der CSU wachsen  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Er wird Helmut Kohl morgen die Hand schütteln beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des bayerischen Arbeitgeberverbands – und lächeln. Sein Lächeln wird nicht befreiend, sondern gezwungen wirken. Ein Strahlemann war er noch nie, aber ein nimmermüder Kämpfer – der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Sein persönliches Lebensmotto lautet: „Nicht nachlassen.“ Und das hat er von seinem Mentor Franz-Josef Strauß übernommen.

Kaum als Ministerpräsident inthronisiert, gerierte sich Stoiber nicht nur als Saubermann der eigenen Partei, sondern auch als Landesvater, der über Wochen hinweg von Festzelt zu Festzelt hetzte. Seine Zuhörer begrüßt er stets mit einem „meine sehr verehrten Damen und Herren“. Intimere Formen wie „liebe Freunde“, würden nicht zu ihm passen. Das hat er nicht nötig, versteht er es doch perfekt, dem Volk aufs Maul zu schauen und so Nähe zu schaffen.

„Ich versuche nur, Gefühle und Stimmungen der Bevölkerung aufzugreifen“, entgegnet Stoiber all denen, die ihn wie Bundesgesundheitsminister und Parteifreund Horst Seehofer oder kürzlich auch Bundeskanzler Helmut Kohl des Populismus ziehen. Er wolle doch die „Akzeptanz der eigenen Politik beim Bürger“ nicht gefährden, schließlich gehe es ihm um nicht mehr und nicht weniger als die „Ambition der CSU als Volkspartei“. Stoiber versucht die nicht nur für seine Karriere, sondern auch für die CSU insgesamt überlebensnotwendige absolute Mehrheit im Bayern dadurch zu sichern, indem er sich die Sorgen der Bürger zu eigen macht und dramatisiert. Er wettert gegen die da oben in Bonn und die in Brüssel. So hofft er, nicht nur die unzufriedenen Bauern oder die um ihre Arbeitsplätze bangenden Beschäftigten in den Kurorten für sich zu gewinnen, sondern auch jene, die Angst vor der Einführung des Euro haben.

Aus Umfragen weiß Stoiber, daß das viele sind, und er weiß auch, daß viele um deren Stimmen buhlen. So ist es nicht schwer auszumachen, daß bei den Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres die Bürgerpartei des Manfred Brunner und auch die rechtsextremen Republikaner, die sich als Retter der Mark profilieren wollen, der CSU entscheidende Prozente abknöpfen. Auch die erstmals kandidierenden „Freien Wähler“ werden kräftig im CSU- Wählerreservoir wildern. Dann wäre die absolute Mehrheit dahin.

Die Währungsunion 1999 als Wahlkampfthema bei den zwei Wochen nach dem Urnengang in Bayern anstehenden Bundestagswahlen – davor graut es Stoiber. Schon deswegen käme ihm eine Verschiebung der Währungsunion zupaß – und die hat er geschickt eingefädelt. Gegen den Widerstand Theo Waigels hatte Stoiber beim kleinen Parteitag im April dieses Jahres einen Grundsatzbeschluß durchgesetzt, wonach das „Defizitkriterium für die Teilnahme an der Währungsunion 3,0 und nicht 3,2 oder 3,15 Prozent“ heiße – wohlwissend, daß Deutschland und auch Frankreich die 3,0 nicht erreichen werden. Damit steht Waigel in der Pflicht. Er müßte als CSU-Parteichef zurücktreten, würde er das Kriterium nicht gemäß des einstimmigen Parteitagsvotums bei 3,0 ansetzen.

Der immer wieder aufbrechende Konflikt mit Waigel gehört zu Stoibers Kalkül, zielt dabei aber stets auf Bundeskanzler Kohl und dessen Europapolitik. Ob in diesem Januar oder im jahr zuvor in Wildbad Kreuth, immer wieder suchte Stoiber in der Euro-Frage den Konflikt mit Kohl.

Daß es ihm dabei nicht ausschließlich um wahltaktische Überlegungen geht, bewiesen jedoch Stoibers klare Worte im November 1993, die inzwischen längst in Vergessenheit geraten sind. Damals schalt Stoiber Europa eine „Kopfgeburt“ und plädierte gleich für einen Bruch mit der gesamten Nachkriegspolitik der Union von Adenauer bis Kohl. Er verlangte eine „Chance zum jederzeitigen Austritt“ und warnte vor einem Verlust „deutscher Identität“. Damit erklärte Stoiber Kohl öffentlich zum Auslaufmodell und verabschiedete sich vom Bundesstaat Europa. Kohl warf Stoiber damals „populistische Verbeugung vor dem Zeitgeist“ vor, und Stoiber betonte damals schon, er sei dem Bundeskanzler nicht weisungsgebunden.

Nach exakt diesem Schema läuft die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Stoiber und Kohl ab, mit dem einen Unterschied, daß je näher die Währungsunion heranrückt, Stoibers Spiel mit dem Feuer riskanter wird. Bislang wußte der Stratege Stoiber immer, wie er unbeschadet aus den von ihm vom Zaun gebrochenen Auseinandersetzungen herauskommen konnte. Aber für Kohl stehen jetzt die außenpolitische Verläßlichkeit der Union und auch Zusagen gegenüber der Wirtschaft auf dem Spiel. „Stoiber kriegt jetzt eins drüber“, polterte er.

Was CSU-Generalsekretär Bernd Protzner als „Frotzeleien“ herunterzuspielen versucht, ist inzwischen so ernst, daß die Irritationen innerhalb der CSU wachsen. Letzte Woche setzten sich bereits die Vorsitzenden der drei stärksten CSU-Bezirke zusammen, um zu beraten, wie die Einheit der Partei zu retten sei.

Und Stoiber? „Maßregeln kann mich niemand, schon gar nicht der Kanzler“, trieb er im Bierzelt von Fürstenfeldbruck den Konflikt weiter voran. Insider spekulieren, daß Bayerns Ministerpräsident den Bruch der Koalition anstrebt. Vorzeitige Neuwahlen könnten dann das Dilemma lösen, daß Bundes- und bayerische Landtagswahl fast zeitgleich anstünden.

Im Falle einer großen Koalition sähe sich Stoiber, der erst vor kurzem seine Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur verneint hatte, dann an der Seite von Euro-Skeptiker Gerhard Schröder als der richtige Mann. Als Ehrenleutnant der Wolfratshausener Gebirgsschützenkompanie den Landesvater der Bayern zu spielen, das ist nicht Stoibers Sache auf Dauer. Das macht keiner, der von sich selbst bescheiden behauptet, er sei „ein 150prozentiger“.