Im Freistil

■ Ahnungslos, aber dafür auch umsonst: das Hamburger Magazin "Wortreich"

Warum nicht einfach ein eigenes Magazin machen? Das wär's. Dann hätte man ein Medium, um mit der eigenen Schreiberei herumzuexperimentieren, und könnte endlich all die Artikel veröffentlichen, die man schon immer mal schreiben wollte. Die Themen wählte man selbst, und formulieren würd' man, wie es einem grad so paßt. Freestyle total, klingt super. Allerdings: der Aufwand. Zum Beispiel: Woher kriegt man die Autoren und das Equipment für die Produktion? Wie geht eigentlich Anzeigenakquisition und wie ein Verteiler? Und vor allem: Wer bezahlt die Rechnung und wovon?

Die Antwort: Man schreibt für die Blätter, die es schon gibt, und läßt es mit dem selbstverwalteten Magazin einfach bleiben. Falls nicht, hat man gute Gründe. Und die formuliert man wie üblich im Editorial: „Wortreich möchte Ihnen Hamburg näherbringen. (...) Wir beleuchten das Großstadtleben mit all seinen Facetten. Extravagantes wie Alltägliches kann im Mittelpunkt der einzelnen Reportage stehen.“ Soll heißen: Wortreich ist ein Magazin, das von Hamburg in Reportageform handelt. Warum? Einfach so. „Wir haben ja vorher noch nie Reportagen geschrieben. Aber wir haben uns kundig gemacht und wissen jetzt, was da so reingehört.“ Derlei weiß Axel Limberg schon vom Studium her. Denn wenn er nicht gerade neben Miguel Dittmann bei Wortreich den Chef macht, studiert er an der Uni Hamburg Publizistik. Da ist der Schritt zum eigenen Blatt nicht groß, vor allem wenn man Nachwuchsgrafiker kennt, die einem das Layout besorgen.

Aber eine ordentliche Reportage, wie ging das doch gleich? Hingucken, recherchieren, nachhaken, O-Töne einfangen, auf daß sie die Stimmung möglichst unverfälscht wiedergeben. So steht es im Lehrbuch. Doch die Wahrheit sieht wie immer ganz anders aus. Schließlich will niemand den langweiligen Alltag langweilig geschildert bekommen. Aber der Alltag ist langweilig. Die Kunst der Reportage ist es, so zu tun, als sei er ein Abenteuer. Das wußten die Macher von Wortreich nicht. Pech.

Und so schreiben sie über Leute, die früh zur Arbeit müssen, Frühgeburten und darüber, wie ein Baum den Frühling erlebt: „Er ist alt. Er hat den Frühling schon viele Male erlebt. Er ist ein Baum (...) Der Baum öffnet ein Auge.“ Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen und erst recht keine Leser. Wer soll Wortreich also kaufen? Keiner. Denn Wortreich ist umsonst. Da haben die Macher noch einmal Glück gehabt.

Aber wenn Wortreich schon keine Leser braucht, so braucht es mindestens Anzeigenkunden. Und um Anzeigenkunden zu gewinnen, hat man sich ganz was Feines ausgedacht: ein Grußwort vom Voscherau. Vom Voscherau? Axel Dittmann: „Nun, immerhin ist er der Bürgermeister. Wir dachten, wir lassen ihn als Zeichen für die Anzeigenkunden ein Grußwort schreiben. Als Schuß Seriosität sozusagen.“ Das ist kritischer Journalismus, wie nicht nur Bürgermeister ihn sich wünschen. Und die fangen erst an. Gar nicht auszudenken, wozu die in Zukunft noch bereit sind. Henning Voscherau kleidet seine Begeisterung in hanseatisches Understatement: „Wortreich, ein lobenswertes Projekt, hinter dem viel Arbeit und Wille zum Erfolg steckt.“ Und da hat er recht. Der Mann weiß einfach, wie man in Hamburg Karriere macht. Davon handelt Wortreich. Von wegen Reportagemagazin. Harald Peters