„Die Berliner sollen nicht so zickig sein“

■ Berliner klagen gegen die Love Parade, das 1.500-Seelen-Städtchen Lieberose bietet sich als Alternative an. Bürgermeisterin Kerstin Michelchen (CDU) ruft die Raver der Welt

taz: Frau Michelchen, wo um Himmels willen liegt Lieberose?

Kerstin Michelchen: Sie sind aus Berlin? Ach Gott, wir sind nicht mal 20 Kilometer entfernt, Richtung Frankfurt (Oder), Cottbus.

Und wie kommen 700.000 Raver zu Ihnen?

Per Autobahn über Abfahrt Storkow, oder sie schlagen sich gleich quer durch die Büsche.

Was hat ausgerechnet Lieberose, was Berlin nicht hat?

Vielleicht ein bißchen mehr Humor.

Sonst noch was?

Wir haben 'ne ganze Menge ganz hübscher Sachen, 'n altes Schloß alte Kirchen, 'ne kaputte und 'ne ganze, und eine bleibt auch kaputt, 'n hübsches Ortsplätzchen, 'nen Markt, so richtig gemütlich, nur nicht gar so aufpoliert wie die in Bayern.

Und das würden dann einige hunderttausend junge Leute alles niedertrampeln.

Die können bei uns gar nicht viel kaputtmachen. Das ist schon kaputt. Die können nur den Grund dafür liefern, daß endlich was gemacht wird. Wenn die wirklich kommen würden, hätten unsere Leute doch super Arbeit hier: die Glaser, die Klempner, die Maler, die hätten zu tun bis zur nächsten Love Parade.

Zu tun haben Sie jetzt ja auch, bloß kein Geld.

Das ist ja das Problem in den kleinen Kommunen, und deswegen hab ich das mit der Love Parade ja auch angezettelt. Berlin soll nicht so zickig sein. Die sollen sich freuen, daß so viele junge Menschen nach Berlin toben. Mir würden ja schon ein paar reichen. Bei uns gehen die Jungen ja leider weg, und irgendwann werden wir ein Rentnerstädtchen. In Berlin wird so viel reingepunmpt und gebaut, und da mokiert man sich über 'n bißl Dreck. Das sind doch Verhandlungsfragen. Da muß man eben sagen: Von den zehn Millionen, die da übrigbleiben, geht eben eine Million fürs Saubermachen drauf. Wer redet denn in Rio beim Karneval über Dreck! Aber die Berliner wissen offenbar nicht mehr, wie gut es ihnen geht. Wir wissen es noch zu schätzen, wenn wir etwas bekommen.

Sind Sie denn sicher, daß sich in Lieberose keiner findet, der gegen die Love Parade klagt?

Na, klar hätten wir hier auch Tohuwabohu. Aber es hat bisher keiner gesagt, daß er's nicht gut fände. Die würden das alle mittragen. Die würden ihre Boutique ausräumen und da Bockwurst verkaufen. Wir haben hier das Improvisieren gelernt. Das sind wir aus DDR-Zeiten gewohnt, und das machen wir weiter. Wir leben immer hart an der Kante, und Berlin braucht das eben nicht. Wir sind zwar 'n mickriges Nest, aber bißl 'nen Kopf zum Denken haben wir auch.

Sie haben nicht nur 'nen Kopf zum Denken, sondern auch zwei Ohren. Welche Musik hören die gern?

Im Moment steh' ich sehr auf die Gruppe „Silly“. Die hab ich früher nie sehr gemocht, auch die Puhdys nicht. Ich weiß auch nicht, ob das 'ne Midlife-crisis ist, aber ich find' die im Moment unheimlich gut.

Und was ist mit Techno?

Das hören meine Töchter, und inzwischen könnt' ich mich sogar dran gewöhnen. Wenn man Kinder hat, muß man ja versuchen, jung zu bleiben.

Und da fallen Ihnen nicht die Ohren ab?

Ich bin ja nicht oft zu Hause. Ich hab' ja meinen Beruf und dann noch meinen Nebenjob als Bürgermeisterin. Da bleibt mir vieles erspart.

Wenn die Love Parade doch nicht zu Ihnen nach Lieberose kommt, kommen Sie dann zur Love Parade?

Ich hab' die Einladung nach Berlin gekriegt, und zu 95 Prozent fahre ich hin. Und wenn dann umgekehrt auch mal einer nach Lieberose kommt, bin ich ja schon froh.

Interview: Vera Gaserow