Freie Fahrt für den Handel

Auf dem G8-Gipfel in Denver werden Arbeitsplätze wieder einmal gegen die Umwelt ausgespielt werden. Teil 6 der taz-Rioserie  ■ Aus Bonn Christa Wichterich

Bevor nächste Woche die UN- Vollversammlung in New York die Bilanz „Fünf Jahre nach Rio“ zieht, treffen sich heute in Denver die Regierungschefs und Finanzminister der führenden Industrienationen zu ihrem jährlichen Gipfel (G8 – vormals G7, ab diesem Mal nimmt auch Rußland teil). Das Timing deutet an, was Sache ist: erst Wirtschaft, dann Umwelt und Entwicklung.

Der Gastgeber, US-Präsident Bill Clinton, will mit seinen Amtskollegen verhandeln, wie „Wachstum und zugleich eine bessere Lebensqualität für alle Bürger“ erreicht werden können. Die Gewerkschaften fordern Beschäftigungspolitik, soziale Mindeststandards und eine Harmonisierung der Steuersysteme. Den alarmierenden Zustand der globalen Umwelt und der Entwicklungshilfe für Afrika wollen die Mächtigen des Nordens zwar ansprechen, aber gegenüber der Arbeitslosigkeit sei dies, so ist aus dem Bonner Finanzministerium zu hören, von klar nachgeordneter Bedeutung.

Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem, die den Geist von Rio beflügelte, fand seither nicht statt. Im Gegenteil: Unter der Kuratel der Globalisierung dominiert das Wirtschaftliche heute mehr als vor fünf Jahren. So beklagen regierungsunabhängige Organisationen in einem offenen Brief an Clinton, daß das Abkommen über Privatinvestitionen, welches in Denver diskutiert wird, „blind gegenüber Umwelt und Sozialem ist“ und daß Umweltstandards im Zuge der Standortkonkurrenz abgebaut werden. „Nachhaltige Entwicklung“, der Kernbegriff von Rio, der Umwelt und Entwicklung verheiraten wollte, wird seither immer häufiger zu „nachhaltigem Wachstum“ modifiziert.

So ist selbst im Entwurf des Abschlußdokuments für die Rio+5-Konferenz in New York folgender Paragraph noch heiß umstritten: „Maßnahmen der Welthandelsorganisation sollen sicherstellen, daß Handelsvorschriften Umweltpolitik nicht behindern oder unterminieren.“ Die Gretchenfrage lautet: Wer behält die Oberhand, wenn sich Handelsfreiheit und Umweltschutz in die Quere kommen? Bislang sind es die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Sie verhinderte etwa in den USA strengere Abgasnormen für Autobenzin, weil sie venezolanische Raffinerien benachteiligt sah. Im Mai traf ein WTO-Bannstrahl das Importverbot der EU für hormonbehandeltes US-Rindfleisch. Die Botschaft ist klar: Handel hat Vorfahrt.

Der Schutz von Luft, Böden, Wasser und Menschen falle nicht in den Kompetenzbereich der WTO, sagte deren Vertreter Rudolf Adlung kürzlich in Bonn. Zwar hat die WTO einen Ausschuß für Handel und Umwelt eingerichtet, doch der behindert eher die bestehenden Umweltabkommen. Von einem „Waterloo der Ökologie“ sprach deshalb der grüne EU- Abgeordnete Wolfgang Kreissl- Dörfler anläßlich der jüngsten WTO- Ministerratssitzung im Dezember in Singapur.

Bisher gibt es im UN-System keine starke Institution, die als Lobby der Umwelt gegenüber Wirtschaftsinteressen auftreten könnte. Unep, das UN-Umweltprogramm, soll bloß die Umweltaktivitäten anderer UN-Organisationen koordinieren. Es krankt an internen Konflikten und ist von seinen Kompetenzen und Finanzen her schmalbrüstig: Seine Mittel sind seit der Rio-Konferenz halbiert worden. Die Kommission für nachhaltige Entwicklung, CSD, hat nur die Aufgabe, die Umsetzung der Beschlüsse von Rio buchhalterisch zu registrieren. Die unter Weltbank-Regie stehende Globale Umweltfazilität GEF soll seit Rio Umweltschutzmaßnahmen im Süden mit knappen Mitteln finanzieren. Fazit: Zu viele UN-Institutionen sind mit ähnlichen Aufgaben befaßt, jede für sich hat nur wenig Einfluß.

Unep-Chefin Elizabeth Dowdeswell wünscht sich daher eine Aufwertung von Unep zur Weltumweltorganisation, vergleichbar der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie hofft damit die Finanzen und Strategien besser bündeln zu können – ein Öko-Gegengewicht zur Wirtschaft. Den fehlenden politischen Willen kann aber auch eine Umweltbehörde nicht ersetzen.

Kanzler Kohl will sich in New York für solch eine neue globale Umweltbehörde stark machen. Er wird den G7-Gipfel in Denver als Test- und Werbeforum nutzen. Denn noch stoßen Kohls Ideen bei Bill Clinton nicht auf Gegenliebe. Die USA wollen der UNO insgesamt eine Schlankheitskur verordnen. In New York ist deshalb die Einführung einer potenten UN-Ökobehörde mit Vetorecht äußerst unwahrscheinlich. Ismail Razali, der Vorsitzende der Rio+5-Konferenz, meint nüchtern: Die Idee „braucht Zeit, um zu reifen“.