Nichts geht mehr im Frankfurter Römer

In Petra Roths Allparteienmagistrat ist die politische Kultur verödet. Frankfurter Grüne entsetzt über Schlagstockeinsatz. Richtungskampf bei der CDU verspricht keine Wende  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Das nächtliche Szenario hatte Symbolcharakter. Im matten Schein der Neonlichtreklamen rund um den Frankfurter Hauptbahnhof prügelten vor zehn Tagen Polizisten in Kampfanzügen tanzende Jugendliche bei einer kleinen Love Parade auseinander. Schlagstöcke gegen Schädel, die eigentlich nur eine Dröhnung brauchen: den harten Beat aus den Baßboxen. Frankfurt am Main im Jahre zwei der Regentschaft von Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Unbekümmerte Prügelorgien in einer Großstadt, deren BürgerInnen einmal stolz darauf waren, in der angeblich modernsten und politisch liberalsten Metropole der Republik zu leben.

Zum Knüppeleinsatz animiert hatte die Polizei der amtierende Ordnungsdezernent Udo Corts (CDU). Ein Mann, den der ehemalige Straßenkämpfer und aktuelle Europaabgeordnete der Bündnisgrünen, Dany Cohn-Bendit, bis dato für den „modernsten und politisch liberalsten Christdemokraten“ der Kommune hielt. Corts will Ende des Monats als Kreisvorsitzender der Union die Nachfolge von Walter Wallmann antreten. Dafür muß er auf dem nächsten Parteitag der Union allerdings noch die konservative Kandidatin Erika Steinbach (MdB) aus dem Felde schlagen. „Eine Richtungsentscheidung“ bei der CDU, konstatierte Dany Cohn-Bendit, der schon anfing, von seinem Lieblingsprojekt zu träumen: von einer Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten und Bündnisgrünen zum Wohle der Metropole. Doch die Realität sieht anders aus.

Nichts geht mehr im Römer – und kaum noch etwas läßt sich bewegen im Magistrat. Weder SPD und Bündnisgrüne noch Christdemokraten und FDP verfügen über eine handlungsfähige Mehrheit im Stadtparlament. In Petra Roths Allparteienmagistrat wird Politik nach Fraktionsweisung betrieben – eine zunehmend öde Situation.

Mit Corts an der Spitze der Union, so glaubten nun einige Bündnisgrüne, könnte Bewegung in die politische Szenerie kommen. Andere warnten vor einer Spaltung. Denn nach wie vor verstehen viele Grüne an der Basis eine Zusammenarbeit mit der Union als indirekte Aufforderung zum Parteiaustritt. Seit Ordnungsdezernent Udo Corts die kleine Love Parade im Bahnhofsviertel mit Polizeigewalt beendete, ist Cohn- Bendit ein recht einsamer Rufer in der politischen Wüste geworden. Die Fraktion der Bündnisgrünen im Römer jedenfalls war „entsetzt“ über die unangemessene Härte der Polizei bei ihrem nächtlichen Einsatz. Und die SPD konnt nur noch zusammenfassen: „Die angebliche Politik der Liberalisierung von Corts hat ein schnelles Ende gefunden.“

Dann lieber gleich Erika Steinbach als Kreisvorsitzende der CDU – und somit klare Verhältnisse? Die Bundestagsabgeordnete stand vor wenigen Wochen an der Spitze der Unionisten, die eine Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Frankfurt organisieren wollten. Doch dazu kam es nicht mehr. Steinbach wurde von der hessischen CDU-Fraktion zurückgepfiffen.

Doch Hessen ist nicht Frankfurt. Mit der Unterstützung der Hardliner im Kreisverband kann Steinbach bei der Wahl zum Parteivorsitz rechnen. Kommt sie ans Ruder, werden ohnehin alle Gedankenspiele über eine eventuelle Zusammenarbeit zwischen CDU und Bündnisgrünen in der Stadt obsolet.

Inzwischen wird im Römer gemunkelt, daß die Besucher der Love Parade möglicherweise Opfer interner Machtkämpfe bei den Christdemokraten geworden sein könnten. Corts habe den Beweis dafür antreten müssen, daß auch er ein harter Hund sein könne. So erreichte ihn denn auch ein dickes Lob von seiner Konkurrentin für seine „klare Haltung“. Erika Steinbach: „Ein fähiger Mann.“ Ordnung muß schließlich das Credo eines Ordnungsdezernenten sein. Und „Lärmschutz“ ist offenbar wichtiger als der Schutz der körperlichen Unversehrtheit.

Ist die Politik in Frankfurt am Ende? An den Hals gehen sich die ParteienvertreterInnen noch nicht. Aber politisch wird es langsam eng. Eine Oberbürgermeisterin ohne parlamentarische Mehrheit – ein Parlament, das nicht fähig ist, tragfähige Mehrheiten zu bilden. Und zwischen den demokratischen Parteien die „Republikaner“ als Zünglein an der Abstimmungswaage. Noch haben die Rechten aus dieser Situation keinen Profit schlagen können. Doch die Zeit arbeitet für die REP–Partei. In Hanau etwa hat die CDU auf die Stimmen der Rechtsradikalen bei der Besetzung von Ausschußpositionen gesetzt.

Sollte die erzkonservative Erika Steinbach bald die Frankfurter CDU anführen, könnte sich ein Techtelmechtel zwischen Union und „Republikanern“ anbahnen. Das zumindest befürchten SPD und Bündnisgrüne. Doch Gespräche zwischen CDU und SPD über eine eventuelle Zusammenarbeit in Stadtparlament und Magistrat sind zunächst einmal gescheitert. Und die Bündnisgrünen haben am vergangenen Wochenende auf einer Klausurtagung beschlossen, weder eine Kooperation mit der CDU noch mit den Sozialdemokraten der Stadt anzustreben.

„Flucht aus der Verantwortung“ nannte das der SPD-Unterbezirksvorsitzende Martin Büchner. Jetzt müsse Petra Roth allein „die Sache“ in die Hand nehmen und beweisen, daß Frankfurt politik- und handlungsfähig bleibe, forderte auch die FAZ in einem dringlichen Appell. Doch die Oberbürgermeisterin hat andere und noch größere Sorgen – als frisch gewählte Präsidentin des Deutschen Städtetages, der ein Armenhaus geworden ist.