Die letzte juristische Hürde ist gefallen. Der gigantische Braunkohletagebau Garzweiler II steht vor der Genehmigung. Das ist die Nagelprobe für die rot-grüne Koalition in Düsseldorf. Die Grünen lehnen das Projekt strikt ab. Gibt es einen A

Die letzte juristische Hürde ist gefallen. Der gigantische Braunkohletagebau Garzweiler II steht vor der Genehmigung. Das ist die Nagelprobe für die rot-grüne Koalition in Düsseldorf. Die Grünen lehnen das Projekt strikt ab. Gibt es einen Ausweg?

Fährt jetzt Rot-Grün in die Grube?

Sie reden hinter vorgehaltener Hand, zitiert werden möchte niemand – weder bei der SPD noch bei den Bündnisgrünen in Nordrhein-Westfalen. Verwunderlich ist diese öffentliche Zurückhaltung in Sachen Garzweiler II nicht. In der Düsseldorfer Koalition geht es um Krisenbewältigung. Nachdem das Landesverfassungsgericht in Münster gestern erneut die Klagen der Garzweiler-II-Gegner abgewiesen hat, kommt es zum Schwur. Der Rahmenbetriebsplan für die geplante Riesengrube der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) steht vor der Genehmigung. Das haben die Grünen zur Koalitionfrage erhoben.

Für die Verfassungsrichter steht außer Frage, daß die frühere SPD- Alleinregierung beim bisherigen Genehmigungsprozeß korrekt vorgegangen ist. Auch das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen, über deren Klagen entschieden wurde, sei gewahrt worden.

Bittere Zeiten stehen nun vor allem den Bündnisgrünen bevor, gilt es doch Abschied zu nehmen von den entschiedenen Erklärungen, wie sie zuletzt auf dem Borkener Parteitag verabschiedet wurden. Fast alle der bündnisgrünen Spitzenpolitiker im Land wissen, daß es an der Zeit ist, zurückzurudern. Gleichzeitig grassiert die Angst, ob die Basis dieser Operation folgen wird.

Denn das Projekt, dessen Verhinderung der bekennende Ökologe und Journalist Franz Alt als „wichtige Schlacht“ im „Krieg gegen die Natur“ erachtet, berührt die Identität der Partei. Auf einer Fläche von 48 Quadratkilometern will die RWE-Tochter Rheinbraun 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle abauen. Durch starke Grundwasserabsenkung ergeben sich vor allem für das angrenzende Naturschutzgebiet Maas-Schwalm-Nette schwerwiegende ökologische Gefahren. Da das Vorhaben zudem eine auf Jahrzehnte wirkende energiepolitische Weichenstellung für umweltschädliche Verbrennung fossiler Energien bedeutet, können die Grünen in der Sache das Projekt niemals akzeptieren.

Ein zwingendes grünes „Nein“ zum Rahmenbetriebsplan muß daraus indes nicht folgen. Selbst die Borkener Erklärung ist in dieser Hinsicht interpretierbar. Scheinbar unmißverständlich heißt es in dem vom grünen Parteitag einstimmig verabschiedeten Beschluß zuerst, daß es „eine Akzeptanz des Rahmenbetriebsplanes für Bündnis 90/Die Grünen nicht geben kann, da mit dieser Entscheidung endgültig politisch über Garzweiler II entschieden wird“. Eine Rückzugslinie eröffnen schon die dann folgenden Sätze: „Mit einer politisch motivierten Genehmigung eines Rahmenbetriebsplans für Garzweiler II gäbe die SPD Rheinbraun fahrlässig Entschädigungsansprüche. Sie würde damit die vereinbarte Rückholbarkeit des Projekts unmöglich machen und die Koalition aufkündigen.“

Über die Schlüsselformulierung „politisch motiviert“ zeichnet sich die mögliche Lösung des für die Koalition brisanten Problems ab. Was, wenn SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht „politisch motiviert“, sondern entsprechend der bergrechtlichen gesetzlichen Vorschriften den Rahmenbetriebsplan passieren läßt? Dann, so lautet die einhellige Interpretation der Koalitionsbefürworter in beiden Parteien, könne von einer Aufkündiung der Koalition nicht mehr die Rede sein. Die Frage ist, ob sich die grüne Parteibasis für diese Argumentation gewinnen läßt [siehe Interview].

Daß um eine Akzeptanz für diese Interpretation gerungen werden muß, haben grüne Spitzenpolitiker aus dem Realolager ebenso zu verantworten wie grüne Linke in der Landesregierung. Umweltministerin Bärbel Höhn beispielsweise erklärte noch Ende letzten Jahres: „Wenn es zum Schwur über den beantragten Rahmenbetriebsplan kommt, dann muß unsere Partei darüber entscheiden. Ich rechne mit einer eindeutigen Ablehnung – und die hätte klare Konsequenzen für die Koalition.“ Und auch der den Realos zugerechnete Parteisprecher Rainer Priggen hat sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt: „Wir werden dem Rahmenbetriebsplan nicht zustimmen.“

Doch die von den Grünen suggerierte politische Ermessensfreiheit sieht das Bergrecht nun mal nicht vor. Insoweit hat SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen recht, wenn er die Bündnisgrünen nun vor der Entscheidung sieht, ob „sie Recht und Gesetz akzeptieren“. Daß die Politik beim Rahmenbetriebsplan quasi außen vor sei, trompeten Matthiesen und Clement seit Monaten ins Land. Clements Botschaft – „die Politik hat überhaupt keinen Einfluß darauf“ – trifft zwar in dieser Absolutheit nicht zu, stimmt aber im Kern.

Aus beiden Koalitionsparteien gibt es deshalb Signale für eine Lösung: Man wird bei der Zulassungsurkunde noch einmal explizit darauf hinweisen, daß mit der Genehmigung die im Braunkohleplan festgelegte Rückholbarkeit nicht ausgehebelt wird und eine endgültige Zustimmung zu dem Projekt damit noch nicht verbunden ist. Die vom Betreiber gewünschte Investitionssicherheit kann und wird es nicht geben. Deshalb ist auch die Angst vor enventuellen Entschädigungsansprüchen unbegründet.

Politisch wäre damit der Zündstoff vorerst entschärft – wahrscheinlich bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2000. Erst danach, so sieht es der Koalitionsvertrag vor, soll die Überprüfung der ökologischen, energiewirtschaftlichen und sozialen Grundannahmen erfolgen. Davon hängt ab, ob die Bagger im Jahr 2006 wirklich loslegen. „Letztlich“, so ein grüner Spitzenpolitiker, „entscheidet der Wahlausgang im Jahr 2000 über das Wahnsinnsprojekt.“ Walter Jakobs, Münster