Albert Speer, das Märchen vom guten Nazi

■ Der ehemalige „Times“-Korrespondent Dan van der Vat argumentiert tapfer gegen den von Speer und seiner Biographin Gitta Sereny produzierten Mythos an

Der gute Mensch neben dem bösen Hitler, ein unpolitischer Technokrat soll Albert Speer gewesen sein. Von den Konzentrationslagern will er nichts gewußt, selbst keine Verbrechen begangen haben. An diesem Mythos hat des „Führers“ Architekt und späterer Rüstungsminister schon in Nürnberg gearbeitet (sogar ein Attentat wollte er geplant haben), mehr noch während und nach seiner 20jährigen Haft. Dafür fälschte er sogar historische Dokumente. Seit Gitta Serenys monumentaler Biographie, die dafür wochenlang mit Speer gesprochen hatte, und eines auf ihren Sicht basierenden Fernsehporträts des ZDF-Oberhistorikers Guido Knopp, scheint ein freundliches Speer-Bild geradezu in Stein gemeißelt zu sein. Doch da hallt ein Ruf von der Insel herüber: Der langjährige Korrespondent britischer Zeitungen, Dan van der Vat, glaubt: Speer hat gelogen, er wußte!

Sereny, so urteilt van der Vat unverkennbar gleich zu Anfang, sei dem Charme des Verführers Speer, dem „ausgebufften Manipulator“ erlegen. Ihre Arbeit sei „eher auf Fragen von Schuld und Reue eingegangen als auf die Fakten seiner Biographie: eher auf das, was er war, als auf das, was er getan hat“. Damit liegt van der Vat nicht falsch. Speers öffentlich zur Schau gestellte Reue sei einer seiner Tricks gewesen, mit denen er schon das Tribunal von Nürnberg um den Finger wickelte.

Van der Vat fragte sich frühzeitig, wie es sein konnte, daß ein Mann wie Speer stets behauptete, im Besitz eines einzigartigen Wissens über das Regime zu sein, gleichzeitig aber Existenz und Ausmaß des Genozids nicht gekannt zu haben. Deutlich streicht van der Vat die Rolle Speers bei der Verschickung der Berliner Juden (zur Schaffung von Wohnraum für Bombenopfer) heraus. Er sei hier „aktiver Teilnehmer“ gewesen und habe das Leben von 75.000 Berliner Juden „ruiniert“. Ebenso zweifelt er daran, daß Speer nicht zumindest von Himmlers Rede in Posen erfahren habe, wenn er schon nicht dabeigewesen sein will (obwohl Himmler ihn damals direkt angesprochen hat). Himmler hatte dort am 6. Oktober 1943 der obersten Führungsschicht die „Endlösung“ verkündet. 1977 erklärte Speer, seine Hauptschuld sei die „Billigung der Judenverfolgung“ gewesen“. Billigen aber, erklärt van der Vat, könne nur, wer wisse. Speer hatte damals nachgereicht, er habe eine „Billigung durch Wegsehen“ gemeint. Auch die Behauptung, Speer sei „apolitisch“ gewesen, sei eine „absurde Behauptung“. Vielmehr, so van der Vat, habe Speer die Funktionsweise des Systems „instinktiv“ begriffen und seine Macht „mit Freuden“ genutzt. Daß Speer daran dachte, Hitler eines Tages zu beerben, hat dieser zwar aus nachvollziehbaren Gründen dem Nürnberger Tribunal verschwiegen, später jedoch offenbart.

Weil Speer nicht davor zurückschreckte, eine entschärfte Fassung seiner Chronik ans Bundesarchiv zu schicken, fragt sich van der Vat zu Recht, welchen Wert man Speers Memoiren noch beimessen dürfe. Welchen Wert man der Auseinandersetzung um Speers Memoiren noch beimessen dürfe. Die Auseinandersetzung um Speers Verantwortung oder Schuld wird sich fortsetzen. Eine weitere Biographie von Joachim Fest, der einst Speers „Lektor“ gewesen war, ist bereits angekündigt.

Jenseits des Ringens um die Geschichtsschreibung existiert eine Version, die schon vor Kriegsende verfaßt worden ist: Speer hätte, schrieb Sebastian Haffner wohl zutreffend im Observer, „sich jeder anderen politischen Partei anschließen können, soweit sie ihm Arbeit und Karriere gab“. Speer wäre Öl im Getriebe eines jeden Staates gewesen: skrupel- und gewissenloser Machtmensch und Opportunist. „Die Hitler und die Himmler mögen wir loswerden“, schrieb Haffner, „aber die Speers, was auch immer im einzelnen mit ihnen geschieht, werden lange unter uns sein.“ Als er wieder in Freiheit war, gab Albert Speer einmal preis, wählte er Willy Brandts SPD. Peter Köpf

Dan van der Vat: „Der gute Nazi – Leben und Lügen des Albert Speer“. Henschel Verlag Berlin 1997, 576 Seiten, 58 DM