Raus aus den Ghettos

■ Vier Tage Thema in Bremerhaven: Deutschland als Exilland / Ota Filip schwärmt, eine Bosnierin will zurück / Kein Tenor nirgends

Das PEN-Symposium zum Thema „Verlegen im Exil“in Bremerhaven: Ein Treffen, bei dem sich Mitglieder des SchriftstellerInnenverbands nicht streiten über schnelle oder langsame Wege zur Vereinigung, sondern zur Sache reden. Das war die Hoffnung der VeranstalterInnen der am Wochenende zu Ende gegangenen Tagung. Entscheidend für die Wahl Bremerhavens war die zeitgleich in der Seestadt gezeigte Ausstellung zur Geschichte des Amsterdamer Exil-Verlages Querido. Aber das historische Exil der aus Deutschland vertriebenen AutorInnen sollte nur die Folie sein, von der aus über die Gegenwart nachgedacht würde. Gegenwart sollte heißen, über Deutschland als Exilland zur reden.

Karl Otto Conrady, Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland, bestand anfangs auf einer Klärung der Begriffe. Wer vor dem Mauerfall von Deutschland-Ost nach Deutschland-West gegangen sei, sei damit nicht ins Exil gegangen. „Immer ist noch irgendwo auf dieser Welt Exilzeit“, sagte er und riet „um der Würde des Wortes willen“, mit dem Begriff sehr vorsichtig umzugehen.

Provokativ und ironisch wischte Ota Filip nur einen Tag später jedes Selbstmitleid und Pathos beiseite. Der Dichter im Exil neige dazu, sich in der Fremde als tragische Figur zu inszenieren. Filip, der nach dem Scheitern des Prager Frühlings in den Westen gegangen war, warnte vor jeder „exilliterarischen Aufgeblasenheit“, vor falscher patriotischer Sentimentalität, vor dem Rückzug in kleine türkische, kurdische oder tschechische Ghettos. „Emigranten dürfen nicht darauf warten, daß sie bemitleidet und gestreichelt werden.“Die Fremde biete nur jenen Schutz, die ihr entgegenkommen. „Wenn wir die deutsche Gesellschaft nicht bereichern, haben wir auch keinen Anspruch, von ihr Gaben zu empfangen.“Integration ist seine Empfehlung. Und die ist für Ota Filip keineswegs ein Unglück, denn das Leben in der Fremde und die neue Sprache sind für ihn mit einem „berauschenden Gefühl“von Freiheit verbunden.

Ota Filips Lob des Exils war eine Sternstunde, auf die sich die rund 150 TagungsteilnehmerInnen immer wieder beriefen. Die deutsche Exilliteratur habe stets nach dem verlorenen Vaterland gesucht, betonte der Literaturkenner Wilfried F. Schoeller – heute gehe es den SchriftstellerInnen aber um den „Reichtum des Fremden“. Er plädierte dafür, die Selbstbeschränkung auf das deutsche Exil, den „kasernierten deutschen Blick“mit seinem problematischen Heimatbegriff aufzugeben. Der Schriftsteller und Wissenschaftler Hans Keilson, mit 87 Jahren ältester Tagungsteilnehmer, bestätigt ihn: Er sieht die eigene Heimat dort, wo seine Arbeit gebraucht wird – im Gastland Holland, das den jüdischen Flüchtling 1936 aufgenommen und später versteckt hatte; dort, wo er seine Lebensaufgabe als Therapeut jüdischer Kriegswaisenkinder gefunden hat.

Die Bedingungen, unter denen AutorInnen mit ausländischer Herkunft heute in Deutschland publizieren, waren das Thema der abschließenden Tagungsrunde. Wolfgang Hegewald, der Anfang der 80er Jahre zu den innerdeutschen GrenzgängerInnen gehörte, ließ dank seiner sensiblen Gesprächsstrategie eine Frau und drei Männer ihre Erfahrungen berichten. Die Geschichten, die da zu hören waren, sind allerdings kaum auf einen Nenner zu bringen. Safeta Obhadjas will sobald wie möglich nach Bosnien zurückkehren – ihre Zukunftsaufgabe sieht sie in Sarajewo. Ihr Schreiben mußte sie vor den Mitgliedern ihrer Familie verstecken. Ihre Kräfte, sagt sie, habe sie erst im Exil entdeckt. Aber: „Ich fühle mich schuldig, weil ich in Sicherheit bin.“

Bahman Nirumand empfindet sein Leben in Deutschland noch immer als Provisorium. Zwischen zwei Kulturen fühle er sich „manchmal unsagbar fremd und einsam“. Der aus dem Irak geflohene Schriftsteller Khalid Al-Maaly, der seit 1980 in Deutschland lebt, sieht vor allem Mauern, die seine Arbeit erschweren. Ganz anders Ilja Trojanow, der – in Sofia geboren – über Zwischenaufenthalte in Jugoslawien, Italien und Kenia nach Deutschland gekommen ist. Er hat keinerlei Schwierigkeiten mit seiner Schmelztiegel-Existenz und lebt „sehr glücklich in der deutschen Sprache“. So stand am Ende trotz aller Kritik an deutschen Bürokraten und deutschen Mauern ein Bekenntnis zu den Chancen, in der Fremde zu leben. Wer im Exil lebt, sagt Nirumand, sei ständig herausgefordert, sich neu zu entdecken.

Die Resonanz auf das PEN-Symposium war geringer als erwartet, das Echo der TeilnehmerInnen gespalten: Daß einige Prominente nur zu ihren routiniert abgespulten Moderationen anreisten, wurde mit Befremden zur Kenntnis genommen. Die meisten Dauergäste nutzten die vier Bremerhavener Tage im malerischen Fischereihafen-Ambiente als intensive Kontaktbörse. Manche vermißten in dem teilweise eng gedrängten Programm die klare Struktur. Viele andere jedoch lobten die entspannte und zugleich hochkonzentrierte Atmosphäre. Safeta Obhodjas sagte: „Man hat uns zugehört wie sonst nirgendwo.“Das könnte ein Bild für die Zukunft sein – ein Bild für eine Schriftstellervereinigung jenseits ihrer selbstbezüglichen Dauerkrise. Hans Happel