Liebevolles Lächeln auf die Angst

■ Das 3001 zeigt eine Retrospektive des kubanischen Filmemachers Tomás Gutiérrez Alea

Als der Kubaner Tomás Gutiérrez Alea begann, Filme zu drehen, gab es den kubanischen Film noch gar nicht. Zwar gab es Filme auf Kuba – der erste wurde bereits 1897 im Auftrag der Brüder Lumiere gezeigt – und es gab Filme aus Kuba – eine sporadische Filmproduktion setzte 1906 ein –, doch beides hatte wenig mit der Realität des Landes und noch weniger mit der Realität seiner Einwohner zu tun. Schon die Namen der Filmgesellschaften wie „Estudios Golden Sun Pictures“geben darüber Auskunft und noch mehr die Produkte: Exotikwerbung für Tourismus. Der erste Dokumentarfilm, der auf authentischer Widergabe kubanischer Realität bestand, wurde 1955 von Julio García Espinosa und Tomás Guttiérrez Alea gedreht. Auch wenn er nach einmaliger Vorführung von Batista verboten wurde und die Regisseure ins Gefängnis kamen, gilt der Film Das Köhlerdorf heute als der Ausgangspunkt für das Neue Kubanische Kino.

Gutiérrez Alea, der im vergangenen Jahr gestorben ist, hat den kubanischen Film von seinen Anfängen an wie kein zweiter geprägt. Von den frühen Dokumentarfilmen, die im direkten Einfluß des italienischen Neorealismus entstanden, über die absurd-satirischen Spielfilme der 70er Jahre bis zu seinen großen internationalen Erfolgen wie Erdbeer und Schokolade (1993) und Guantanamera (1995) stand für Alea immer eins im Vordergrund: Das Leben in seiner Widersprüchlichkeit zu zeigen. Als großer Verfechter und Protagonist der Revolution – Alea baute mit Espinosa die Filmabteilung der Guerrilleros auf und war 1959 Mitbegründer des kubanischen Filminstituts ICAIC – behielt er es sich vor, auch über die Ängste der Bourgoisie liebevoll zu lächeln und die Institutionalisierung der Revolution satirisch bloßzustellen. Amerikanischer Slapstick war ihm ebenso vertraut wie die Filme Ingmar Bergmanns und Luis Buñuels, als deren Bewunderer er sich offen bekannte.

Neben feinem Humor und Selbstironie sind es Geschichtsbewußtsein und vor allem formale Kühnheit, die Aleas Filme auszeichnen. Ein Meisterwerk in jeder Beziehung ist Erinnerungen an die Unterentwicklung aus dem Jahr 1968. Nach einem Roman von Edmundo Desnoes erzählt Alea von einem bürgerlichen Intellektuellen, der als einziger seiner Familie nach der Revolution nicht das Land verläßt, jedoch bürgerlichen Werten hoffnungslos verhaftet bleibt. Der Film spielt grandios auf verschiedenen Ebenen, indem er fiktive Szenen und Dokumentarsequenzen aneinanderschneidet: Erinnerungen an verpaßte Chancen an Fernsehbilder der Schweinebucht-Invasion montiert. Die „agressive Vitalität“von Antagonismen nutzt Alea, um beim Zuschauer Erkenntnisse über die eigene Identität zu provozieren; Holzhammerdidaktik ist seinen bizarr vielschichtigen, universellen Filmen fern.

Zwölf der insgesamt 29 Filme Aleas zeigt das 3001 bis zum 18. Juni – eine längst überfällige Retrospektive. Christiane Kühl

heute, 20.30 Uhr: Einführung von Volker Pade, 3001