Es wird einsam um Helmut Kohl

■ Nach dem Sieg der französischen Linken fehlen dem Kanzler die konservativen Partner für seine EU. Jetzt fordern auch Unionspolitiker mehr soziale Gerechtigkeit. CDA-Chef Eppelmann: „Höchste Priorität für Arbeitnehmer“

Berlin (taz) – ...da waren's nur noch zwei. Das Wahlergebnis in Frankreich bringt für die Politik der Bundesregierung eine weitere, nicht nur atmosphärische Belastung. Nur noch in Deutschland und Spanien regieren künftig die Konservativen. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) muß die Weichen für die künftige Europapolitik zwei Wochen vor dem Maastricht-II- Gipfel und Monate vor der endgültigen Entscheidung über den Euro vor allem mit Sozialisten und Sozialdemokraten stellen. Blair statt Major, Jospin statt Juppé, Helmut Kohl, der Übervater des Maastricht- Prozesses, muß zusehen, wie das gemeinsame Europa zu einem sozialdemokratischen Europa zu werden droht.

Dazu geht es zu Hause in Bonn drunter und drüber – so heftig, daß Kohl seine für morgen geplante Rede vor der parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU) in Paris absagte. Wie es hieß, sind dafür innenpolitische Entwicklungen ausschlaggebend, meldete dpa. Diese Entwicklungen beschreiben nicht nur, daß sich die Regierungskoalition beim Krisengipfel im Kanzleramt nicht auf die Grundzüge für den Haushalt 1998 einigen konnte. Die CDU-Sozialausschüsse (CDA) fordern nach den Wahlen in Frankreich nun einen deutlichen Kurswechsel in der Regierungspolitik. Die Union müsse endlich den Interessen der Arbeitnehmer höchste Priorität einräumen, so der CDA-Vorsitzende Rainer Eppelmann. „Die nächste Bundestagswahl wird sich an den Themen soziale Gerechtigkeit und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entscheiden.“

CDU-Generalsekretär Peter Hintze hingegen erklärte, die Lage in Frankreich sei mit der in Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und der Bonner CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sorgen sich nur um den Euro und warnen, die neue linke Mehrheit sei „ein Risiko für die europäische Entwicklung“.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) wollte das so nicht sehen. Er habe keinen Zweifel, daß die neue sozialistische Regierung in Paris am Euro-Fahrplan festhalten werde. Kinkels Partei taktiert derweil hart am Rande des Abgrunds. Steuererhöhungen zur Deckung der Haushaltslöcher kämen nicht in Frage. Bundesfinanzminister Waigel (CSU) spricht deswegen schon von einer „ernsten Situation“. Parteikollege Alois Glück wirft der FDP ein „lebensgefährliches Spiel“ vor.

Bei soviel Kakophonie verwundert es nicht, daß der Regierung bei der Etikette einiges durcheinandergeht. Statt dem Wahlsieger Jospin zu gratulieren telefonierte der Kanzler gestern lieber mit Verlierer Chirac und debattierte die Lage.

Die Franzosen hatten am Sonntag erstmals einem rechten Präsidenten eine linke Parlamentsmehrheit beschert. Die Sozialisten gewannen 241 Mandate, die mit ihnen verbündeten Kommunisten 38 Mandate, andere Linksparteien noch einmal 33 Mandate. Und erstmals ziehen auch 7 grüne Abgeordnete in die Nationalversammlung ein. Die Regierungsparteien UDF und RPR verloren hingegen fast die Hälfte ihrer Wahlkreise und landeten bei 242 Mandaten. ten Tagesthema Seiten 2 und 3