Vom Versuch, die Rechte zu vermessen

■ Eine Hamburger Tagung lotet die Chancen des Rechtsextremismus aus

Hamburg (taz) – Die rund 70 Teilnehmer der Hamburger Fachtagung hatten sich viel vorgenommen: In zweieinhalb Tagen wollten sie den „politisch-ideologischen Raum“ des Rechtsextremismus „neu vermessen“.

Wie schwierig sich eine solche Neuvermessung gestaltet, wurde bereits am Montag kurz nach Tagungsbeginn deutlich. Der an der Hamburger Bundeswehr-Hochschule tätige Politologe Wolfgang Gessenharter und Armin Phahl- Traughber, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, gerieten sich bereits beim Versuch, die Neue Rechte zu verorten, in die Haare. Während Gessenharter der Neuen Rechten und ihrer wichtigsten Publikation Junge Freiheit eine „Scharnierfunktion“ zwischen konservativen und rechtsextremen Ideologiemustern zuordnete, definierte der Kölner Verfassungsschützer die Neue Rechte nur als eine Strömung innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums.

Ähnlich kontrovers wurde auf der mit namhaften Forschern besetzten Tagung die Frage nach den Ursachen und Entwicklungschancen rechtsextremer Bestrebungen debattiert.

Der Potsdamer Sozialwissenschaftler Christoph Butterwege und der Darmstädter Sozialwissenschaftler Walter Hanesch sahen als ein wichtiges Antriebsmoment den sich vollziehenden „Abschied vom Sozialstaat“. Je mehr sich durch eine „Vermögensumverteilung von unten nach oben“ und eine „Individualisierung sozialer Risiken“ das „soziale Klima verschärfe“, um so fruchtbarer werde „der Nährboden“ für rechte Ideologien. Butterweges Prognose: „Die Chancen für die Rechten bemessen sich danach, wie diese Entwicklung weitergeht.“ Hanesch ergänzte diese Prognose um die Beobachtung, daß es „weniger die Armen“, sondern vor allem die Gruppen „direkt oberhalb der Armutsgrenze“ seien, die „die größten Ängste hätten abzurutschen“ und sich deshalb rechten Gruppierungen zuwenden würden. Der Berliner Parteienforscher Richard Stöss widersprach der These, daß eine Verschärfung sozialer Probleme automatisch zu einer Hinwendung der „benachteiligten Modernisierungsverlierer“ zu rechtsextremen Parteien oder gar rassistisch-nationalistisch motivierter Gewalt führe.

Repräsentative Befragungen würden beweisen, daß Parteien wie die „Republikaner“ „ökonomisch-soziale“ Unzufriedenheit von wachsenden Teilen der Bevölkerung nur zu kleinen Teilen in Wahlerfolge ummünzen könnten. Sozial benachteiligte Gruppen würden eher zur Wahlenthaltung neigen oder – in den neuen Bundesländern – der PDS ihre Stimme geben. Nach wie vor würde aber das Gros der „Modernisierungsverlierer“ sich der SPD hinwenden. Nur wenn das rechte Spektrum „Geschlossenheit“ und „überzeugende Personalangebote“ vorweisen könnte und die „Integrationskraft“ der bürgerlichen Parteien nachlasse, sei ein Aufschwung rechtsextremistischer Parteien nach französischem oder österreichischem Muster zu befürchten.

Fazit der Veranstaltung: Die von der Hamburger Bundeswehr- Hochschule organisierte Tagung zeigte eine Vielzahl verschiedener Perspektiven der Rechtsextremismus-Forschung auf. Von der angekündigten „Neuvermessung“ war allerdings wenig zu sehen. Marco Carini, Andreas Speit