■ Nachschlag
: Kein Spiel gesehen - Ingo Schramm las in der Kulturbrauerei

Nachschlag

Kein Spiel gesehen – Ingo Schramm las in der Kulturbrauerei

So. Jetzt macht der Dichter sich bereit. Verläßt den Tisch im Publikum und macht sich langsam auf den Weg zur Bühne. Da hastet eine junge Frau zur Bar. Sie strauchelt, stürzt, bringt Stuhl und Tisch zu Fall, von dem der Autor eben aufgestanden, und taucht die Kostüme der feinen Damen in Rotwein. Empörung und Entsetzen. Hilft nichts, die Lesung fängt an.

Fulminant! denkt man schon, wird das erste Wort des zu schreibenden Artikels lauten. Doch das verwirft man rasch. Ingo Schramm, 1962 in Leipzig geboren, liest an diesem Abend in der Kulturbrauerei aus seinem neuen Roman „Aprilmechanik“, der im Juli erscheinen wird, kein Jahr nach seinem Erstling, dem Erfolgsbuch „Fitchers Blau“. So schnell folgt da Roman auf Roman, daß der Verdacht naheliegt, der Verlag wolle dem Erfolg des letzten schnell noch einen weiteren draufsatteln. „Aprilmechanik“ ist die Geschichte einer Dreierbeziehung, einer Liebe in der Großstadt, die Geschichte von Susanne, Frank und Ronny. Doch schon die Ankündigung des Verlages, der die Geschichte als „exakt maßstabgetreues Modell einer Dreierbeziehung unserer Tage“ vorstellt, beschreibt treffend das Dilemma des Romans: Er ist mühsam konstruiert, bloß ein Modell, jedenfalls nicht lebendig. Das knirscht und knarzt, ist hölzern und holprig beschrieben, und an keiner Stelle hat man das Gefühl, das könnte erlebt sein. Bei der Beschreibung eines Fußballspiels denkt man: Der hat noch nie ein Spiel gesehen. Andere Passagen sind dann plötzlich in lyrisch hohem Ton: „Dann aßen die drei von Mitgebrachtem. Müll fiel an. Man warf die vom Zweck befreiten Dinge zwischen die Halme.“ Oder: „Frank mußte die Augen schließen, doch ihm wurde kein Dunkel.“ Am Ende dann turnt eine Dame des Verlags auf die Bühne und verkündet „eine tragische Wendung“, die der Roman noch nehmen werde. Ingo Schramm setzt noch einen drauf und behauptet gar, er habe versucht, „die ganze Fülle des Gesellschaftslebens mitzuerfassen“. Volker Weidermann

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