Vierzehn Männer und ein Kanzler haben sich verschworen: Dem Osten Deutschlands soll geholfen werden. 100.000 neue Arbeitsplätze müssen her. Darüber läßt sich gut reden. Dafür läßt sich schlecht was machen, wenn Einigkeit und Ideen fehlen.

Vierzehn Männer und ein Kanzler haben sich verschworen: Dem Osten Deutschlands soll geholfen werden. 100.000 neue Arbeitsplätze müssen her. Darüber läßt sich gut reden. Dafür läßt sich schlecht was machen, wenn Einigkeit und Ideen fehlen.

Ein Bündnis für Gesprächstherapie

Also, da kann der Kanzler nur lachen. Was soll er garantieren? 100.000 neue Arbeitsplätze für den Osten der Republik? „Ja, das ist unser Ziel, aber ich habe ja noch nicht einmal Einfluß auf eine ordentliche Berichterstattung. Also, ich kann die Arbeitsplätze überhaupt nicht garantieren.“ Guter Witz, da hüpft der Bauch, da blinzeln die Äuglein. Und der Saal lacht. Helmut Kohl kann sich das leisten. Als Person sitzt er eh nicht auf dem Podium. „Bundeskanzler“ steht lapidar auf dem Schild vor ihm. Die anderen Teilnehmer, die im Festsaal des Berliner Rathauses ihre „Gemeinsame Initiative für mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland“ vorstellen, tragen Namen: zum Beispiel Dieter Hundt, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Schulte, Vorsitzender des DGB, Manfred Stolpe, Vorsitzender der Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder und brandenburgischer Ministerpäsident. Minister, Arbeitgeber, Gewerkschafter: 14 Männer und ein Kanzler präsentieren ihren zweiten Versuch, die ostdeutsche Wirtschaft auf Trab zu bringen.

Durch die Initiative soll der Abbau von Beschäftigung – Arbeitsmarktforscher fürchten einen Verlust von 120.000 Arbeitsplätzen allein in diesem Jahr – gestoppt werden. Man habe sich eine verbindliche Pflicht auferlegt, sagt Manfred Stolpe. Nicht eine Wahlschlacht wolle man heute schlagen. „Uns muß es um die Zukunft unseres Vaterlandes gehen“, proklamiert er. „Ich bitte, aus nationaler Verantwortung zu handeln.“

Dieter Schulte greift alte Versprechen auf. Hatte Helmut Kohl nicht vor sieben Jahren von „blühenden Landschaften“ gesprochen? „Ich will die Bundesregierung beim Wort von 1990 nehmen.“ Wesentliche neue Ideen fehlen bei allen Beteiligten. Die Bundesregierung legt ihr altbekanntes Lehrstellenförderprogramm auf. Doch im Osten fehlen bereits heute 130.000 Ausbildungsplätze. Dieter Hundt will „Ausbildungsplatzhemmnisse abbbauen“. Und das heißt für ihn, daß zuallererst die Ausbildungsvergütungen heruntergestuft werden müssen. Dafür wiederum sieht der DGB- Chef keine Chance. „Wenn die Arbeitgeber nicht ausbilden, muß Herr Hundt sie davon überzeugen, daß sie eine Lehrstellenabgabe zu zahlen haben.“ Dagegen hat dieser sich bislang erfolgreich gewandt. Nicht nur an diesem Punkt scheint der Dissens innerhalb der Initiative vorprogrammiert.

Die Tarifpartner haben sich versprochen, gründlicher über die Flexibilisierung des Flächentarifvertrags nachzudenken. Einzelne Betriebe sollen auf aktuelle Beschäftigungsprobleme „sachgerecht reagieren können“. Dafür „gewährleisten die Tarifparteien kurzfristig nutzbare, praktikable und wirksame Regeln und Verfahren (Härtefallklauseln), die normalerweise innerhalb von 14 Tagen Entscheidungen ermöglichen“. Ziel sei es auch, durch eine befristete „Reduzierung der Arbeitskosten Unternehmen zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern“. Um 30 Prozent liegen die Lohnstückkosten höher als im Westen.

Sinken die Löhne also noch weiter? Mitnichten, befindet Dieter Schulte. Den Gewerkschaften gehe es vielmehr darum, die Öffnungsklauseln, die derzeit unterschiedlich eingehalten und angewandt werden, „temporär“ zu vereinheitlichen. Lohnsenkungungen schließt er kategorisch aus. Dieter Hundt dagegen wünscht sich eine Absenkung der niedrigen Löhne; die Einkommenseinbußen sollen durch öffentliche Gelder ausgeglichen werden. „Wir haben doch Niedrigstlohngruppen, die die Unternehmer gar nicht nutzen“, hält Schulte dagegen. Bei soviel Uneinigkeit: Wo sollen die 100.000 neuen Jobs herkommen?

Ludolf-Georg von Wartenberg vom Bundesverband weiß es: Die „Einkaufsinitiative Ost“ soll sie bringen. Der Handel möchte die Vermarktung ostdeutscher Produkte erleichtern und selbst 50 Prozent mehr als 1995 im Osten ordern. „Alleine in diesem Bereich können über 100.000 neue Arbeitsplätze entstehen“, sagt er. Und nach einer kurzen Pause: „Verteilt auf die Jahre bis 2000.“

Geht man aus dem Rathausfestsaal zu Arbeitsmarkforschern, werden auch diese Versprechungen relativiert. Hilmar Schneider vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle beispielsweise schätzt die erneute Einkaufsinitiative Ost eher als Wohltätigkeitsveranstaltung ein. Hart kalkulierenden Unternehmer würden nun mal nicht aus Barmherzigkeit Kaufverträge abschließen. Bei den brandenburgischen Industrie- und Handelskammern kann man das bestätigen. Die bisherigen Einkaufsinitiativen hätten zu keiner spürbar höheren Bereitschaft von Westunternehmen geführt, im Osten einzukaufen. Die Hauptschwierigkeit für die Ostbetriebe sieht Schneider in der Erschließung von Absatzmärkten. Der Markt sei voll, und um als neuer Anbieter dort einzudringen, genüge es nicht, zu selben Preisen anzubieten wie die Konkurrenz, man müsse deutlich billiger sein. „Wenn man will, daß Betriebe auf die Beine kommen“, fügt er knapp und klar an, „muß man bei den Löhnen Zugeständnisse machen.“

Im Dezember wollen der Kanzler und die anderen Herren eine erste Bilanz ihrer Initiative ziehen. Ein negatives Ergebnis braucht Helmut Kohl nicht zu fürchten. Er ist ja nur der Bundeskanzler, ohne Einfluß. Annette Rogalla/lieb