Die Kosaken reiten wieder

Die Kosaken, einst verfolgt, haben Jelzin viele Privilegien abgetrotzt. Der Frieden mit Tschetschenien paßt ihnen hingegen gar nicht  ■ Aus Stawropol Klaus-Helge Donath

Ein Friede – schandhafter noch als der von Brest... Boris Nikolaijewitsch, sorgen Sie dafür, daß den Kosaken das linke Terek-Ufer zurückgegeben wird. Die Sache mit Itschkerija erledigen wir selbst, wenn man uns läßt und dabei nicht stört“, drohte der Atamanenrat der Terek-Kosaken in einem offenen Brief an Präsident Boris Jelzin. Die Kosaken im Süden Rußlands sind aufgebracht. Als Moskau mit den Tschetschenen Frieden schloß, erhoben sie wutschäumend Anklage: Verrat! Ausverkauf russischer Erde!

Die Bewohner des südrussischen Wehrgürtels legten nie besonderen Wert auf verfeinerte Umgangsformen, die Kunst kommunikativer Übereinkunft galt nicht als erstrebenswert. In Anlehnung an die Sitten ihrer Vorfahren neigen sie heute wieder dazu, Streitfragen mit Schaschka, Kindschal oder Mörser aus dem Weg zu räumen. Zumindest in ihrer Rhetorik. Zentrum und Brutstätte des kosakischen Extremismus befinden sich in der Ortschaft Inosemtsewo im Gebiet Stawropol. Von hier aus wird der Kreml mit Eingaben und ultimativen Forderungen unter Dauerbeschuß gesetzt. Zuletzt verlangte der Konvent kosakischer Respektspersonen – die gewählten Atamane –, die Grenze zum Nachbarn Tschetschenien aufzurüsten und zu befestigen, die Kosaken offiziell zu bewaffnen und ihnen die Aufgabe der Grenzsicherung zu übertragen.

In Moskau rief das Ansinnen Mißtrauen hervor. Man schickte Boris Beresowski, den Sekretär des Sicherheitsrates, in die Höhle des Löwen. Vor der Versammlung waffenklirrender Pelzmützen und funkelnder Ordensbrüste äußerte der so abgeklärte, der Zukunft zugewandte Multimillionär Verständnis. Die Kosaken sollten immer über „tausend Gewehrläufe“ mehr verfügen als die Tschetschenen. Man hätte den Jubel sehen sollen. „Ljubo, Ljubo!“ skandierte die Männerrunde: „Freude, welche Freude!“ Das Eis war gebrochen. Nicht einmal seine ethnische Herkunft spielte eine Rolle. Antisemitismus bildet seit jeher einen Pfeiler im Selbstverständnis der russisch-orthodoxen Kosaken.

Seither schweben die Atamanen in einem Zustand fiebriger Erwartung. Obwohl sie schon über große Privilegien verfügen, die ihnen vielerorts erlauben, Recht und Ordnung durchzusetzen. Als Moskau 1993 einen nordkaukasischen Militärbezirk schuf, wurde ihr Status erheblich aufgewertet. Kosakenverbände leisten seither Grenz– und Wachdienste. Und ein Ukas verfügte, sie an der Selbstverwaltung zu beteiligen.

Vereine schossen wie Pilze aus dem Boden

Das Zentrum kam ihnen einen großen Schritt entgegen, wenn auch nicht ganz aus freien Stücken. Kosaken vom Don, Kuban und Terek hatten kurz zuvor gedroht, in den südlichen Gefilden das Zepter selbst in die Hand zu nehmen, sollten ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Um dem innenpolitischen Gegner auf der Rechten damals das Feld nicht zu überlassen, war Jelzin schnell zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Immerhin stellen die Kosaken eine Wählerschaft von mehreren Millionen. Nach eigenen Schätzungen sind es sogar an die zwanzig, die bescheidenere halboffizielle Zählung kommt auf fünf Millionen. Der militärische Aspekt spielte auch eine Rolle. Die Kosakenverbände im Tschetschenienkrieg konnten indes die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Sie wurden gnadenlos aufgerieben wie die reguläre Armee.

Mit dem absehbaren Untergang des kommunistischen Regimes Anfang der Neunziger schossen Kosakenvereine wie Pilze aus dem Boden. Die Kommunistische Partei versuchte dem Wildwuchs noch Einhalt zu gebieten, indem sie eine „Allrußländische Kosakenunion“ gründete und einen alten Armeegeneral zum Oberatamanen kürte. Die folkloristische Renaissance dauerte nicht lange.

Binnen weniger Monate entstand in ihrem Schoß ein antikommunistischer Setzling, die Union der Kosakentruppen in Rußland und dem nahen Ausland, die Boris Jelzin auf ihr Banner hob. Der revanchierte sich als Präsident und erkannte den Kosaken den Status eines „repressierten Volkes“ zu. Im Bürgerkrieg von 1917 bis 1921 wurden 1,5 Millionen Kosaken Opfer des roten Terrors. Die Rehabilitierung öffnete den Kosaken den Weg zurück in respektable Positionen. Zwar flossen nicht die Gelder wie erwartet, dafür kamen sie in den Genuß anderer Vorteile. Sie erhielten Gebäude und Büros mietfrei und konnten eigene Schulen errichten.

Ungeachtet ihrer politischen Couleur – ob Monarchisten, Kommunisten oder Kapitalisten –, sie alle vereint eine Idee: der orthodoxe Glaube und das russische Imperium in den Grenzen von 1914. Viele halten auch die Strukturen und Traditionen des Kosakentums für eine brauchbare russische Antwort auf die jüngsten gesellschaftlichen Verwerfungen und den von Westen eindringenden Werterelativismus. Dem setzen sie ihre Form der Urdemokratie entgegen, die Krug-Verfassung (Kreis), die nach dem Delegiertenprinzip funktionierte und in der nur Männer über 25 Jahre Stimmrecht besaßen. Die Wiedergeburt des Kosakentums, so ihr programmatischer Anspruch, öffne den „Weg zur Wiedergeburt des russischen Volkes und zur Rettung des ganzen Landes“. Hinter dieser messianischen Losung verbirgt sich die Fortschreibung der jahrhundertealten Doktrin von Kirche und Krone, die Moskaus Anrecht auf die Rolle eines Dritten Roms anmeldete.

Das Grundschulwissen, das die Kosaken für Bauern hält, die im frühen 15. Jahrhundert in die Steppen des Südens hinter das russische Grenzland flohen, um sich vor Joch und Schinderei der Gutsbesitzer und des Moskowiter Staates in Sicherheit zu bringen, empfindet man nicht nur in Gebieten mit kompakter kosakischer Bevölkerung als grobe Geschichtsklitterung. Es ist geradezu eine Beleidigung: „Ein wirklicher Kosake läuft vor niemandem davon!“

Trotz aller Bemühungen, die Stammbäume nachzubessern, gilt die Herkunft des Kosakentums wissenschaftlich als geklärt. Die Schulmeinung hat sich durchgesetzt: Im eurasischen Steppengebiet trafen entlaufene ostslawische Bauern auf umherstreifende Reiternomaden. Im ausgehenden 15. Jahrhundert hatten die Kosaken bereits eine solche Stärke erlangt, daß sie für die Grenzgebiete Rußlands, des Osmanischen Reiches und Polen-Litauens zu einer ernsten militärischen Gefahr wurden.

Ihre ältesten Siedlungen lagen an den Unterläufen des Dnjepr, Don, Terek und Jaik, die sich von der südlichen Ukraine bis zum Südural und an das Nordufer des Kaspischen Meeres erstreckten. Als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die russischen Bauern endgültig versklavt wurden, flohen die Entrechteten in die Steppengebiete. Zur gleichen Zeit beginnen die systematischen Vorstöße Richtung Sibirien. Innerhalb von 90 Jahren wird dieser gigantische Kontinent dem Moskauer Zaren tributpflichtig. Der Kosak, was im Turktatarischen „freier Mann“ bedeutet, der „außerhalb einer festen Gemeinschaft“ steht, wirkt so als nomadisierender Voraustrupp des russischen Zaren. Geraubtes verschwindet in der eigenen Tasche, Boden und unterworfene Völker gehören dem Autokraten.

„Die Grenze des russischen Staats liegt auf dem Vorderzwiesel eines Kosakensattels“, erkannten die Chinesen schon sehr früh. Die Kosaken fühlten sich als die Herren Sibiriens. Chronisten aus jener Zeit wissen nicht viel Ehrenwertes von ihrem Wirken zu berichten. Kolonialzüge folgen überall einer ähnlich brutalen Logik: Raub, Mord und Versklavung. Die Kosaken machten keine Ausnahme.

Ihr Verhältnis zum Zaren blieb dennoch ambivalent und kannte nur begrenzte Loyalität. Stellten sie Nachbarn ihre militärische Schlagkraft zur Verfügung, woran sie völkische oder religiöse Vorbehalte seltener hinderten – so geschah das immer nur auf Zeit und im Tausch gegen Pulver, Blei und Getreide. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden sie sogar zu einer Bedrohung für das autokratische System. Aufständische Bauernführer wie Bulawin, Rasin und Pugatschow stammten aus ihren Reihen.

Peter der Große hatte schon damit begonnen, die freien Kosakengemeinschaften in zarentreue Kosakenheere umzuwandeln. Mit der Autonomie der Kosaken war es vorbei. Den endgültigen Schlag versetzte ihnen Katharina II. 1775 ließ sie die Geburtsstätte des stolzen europäischen Kosakentums am unteren Dnjepr auflösen – die Saporoscher Sjetsch, was soviel heißt wie „jenseits der Stromschnellen“. Man brauchte die Kosaken nicht mehr, mit der Türkei hatte man sich einigen können.

Hundert Jahre zuvor hatten die Saporoscher Kosaken nicht nur als Krieger von sich reden gemacht. Nach der siegreichen Schlacht gegen den türkischen Sultan, der die Halbinsel Krim als Brückenkopf hielt, schrieben die Kosaken dem Feind einen Brief, der in seiner Deutlichkeit in der Diplomatiegeschichte einzigartig geblieben sein dürfte: „Du türkischer Scheitan, Bruder und Genosse des verfluchten Teufels und des leibhaftigen Luzifers Sekretär... Was der Teufel scheißt, das frißt du samt deiner Scharen... Dein Heer fürchten wir nicht... Du babylonischer Küchenchef..., Erzsauhalter des großen und kleinen Ägypten... Schweineschnauze, Stutenarsch...“

Während der napoleonischen Kriege befanden sich die Kosaken schon unter der Ägide des Staates. Wer loyal bleiben wollte, tauschte Autonomie gegen Privilegien eines Militärstandes. Sie waren verpflichtet, sich in Stanizas, den Wehrdörfern, entlang der Grenzen niederzulassen und der Armee regelmäßig Regimenter zu entsenden. Die Sozialstrukur glich sich der russischen an. Einfache Kosaken wurden indes nicht unter das Joch der Leibeigenschaft gezwängt und behielten Nutzungsrechte am gemeinsamem Ackerland.

Das 19. Jahrhundert gilt als Glanzzeit der Kosaken

Was die schroffen sozialen Veränderungen indes nicht beeinflußten, war ihr Kampfgebaren. Wo Kosaken auftauchten, wurde gebrandschatzt, gemordet und geplündert. So geht wohl auch der Brand von Moskau 1812 auf ihr Konto, der half, die Franzosen aus der Stadt zu jagen, jedoch Hunderttausende Moskauer im Winter ins Elend stürzte.

Dennoch gilt das 19. Jahrhundert als die Glanzzeit der Kosaken im Dienste der Zaren. In den Stanizas frönten sie einem Leben, das angenehmere Seiten hatte als das Dasein gewöhnlicher Bauern und Soldaten. Die russische Literatur des Goldenen Zeitalters, so Tolstoi, nahm sich des Sujets mit Vorliebe an und trug zur etwas einseitigen Glorifizierung bei.

In den Stanizas am Terek auf tschetschenischem Boden herrscht eine unheimliche Atmosphäre. Das Kriegerdenkmal aus dem Großen Vaterländischen Krieg im Zentrum des Dorfes ziert ein grünes Stirnband der Rebellen des Dschihad, des heiligen Krieges. Russen und Tschetschenen wohnen Tür an Tür, doch keiner traut dem Nachbarn. Der Ataman bittet darum, weder seinen noch den Namen des Dorfes zu erwähnen. Er hat Todesangst, seit die russischen Truppen die Kaukasusrepublik verlassen haben. Inwieweit schreckliche Berichte von Kindesentführungen, Mord und Raub der Wahrheit entsprechen, läßt sich nicht nachprüfen. Doch Anlaß, sich zu fürchten, besteht ohne Zweifel. Seit Beginn der 70er Jahre verließ die russischsprachige Bevölkerung die Region, nicht erst, wie es die offizielle Propaganda vorgibt, in jüngster Zeit.

Der Ataman will trotzdem bleiben, schließlich sei es kosakische Erde, auf der er lebe. Im Unterschied zu seinen Glaubensbrüdern in Stawropol und Moskau, den Asphaltkosaken, tritt er aber nicht großspurig auf. Dennoch hat auch er den Wunsch, Revanche zu nehmen. Er hofft auf Hilfe von Gleichgesinnten seiner Kaste, deren Kräfte er überschätzt. Beresowskis Worte klingen in seinen Ohren wie Labsal, auch wenn sie nur dem Hoffen neue Nahrung geben.

Wenn die Kosaken das wären, was sie vorgeben zu sein, hätten sie die offene Frage schon in ihrem Sinne entschieden. An Waffen und moralischen Skrupeln fehlt es ihnen nicht. Wie schon ihre Vorfahren sind sie sich untereinander nicht einig, und es hapert mit der Subordination. Überdies wissen Kosaken die wahre Stärke ihres Gegners einzuschätzen...