Alibischwuler oder einfach geduldet

taz-Serie: 100 Jahre Schwulenbewegung (Teil III): In der DDR fanden sie keinen Platz im sozialistischen Alltag. Jetzt ziehen sich Roland Schulz (SPD) und Mirko Adam (CDU) aus ihren neuen Parteien zurück  ■ Von Jens Rübsam

Mittwoch nachmittag dieser Woche. Roland Schulz sitzt im Büro der SPD Prenzlauer Berg und füllt Karteikarten aus. Er sei jetzt, sagt Roland Schulz, in seinem Kiez für Mitgliederwerbung und Mitgliederbetreuung verantwortlich. Kein aufregender Job. Aber ein wichtiger. Denn die SPD Prenzlauer Berg braucht Mitglieder und Werbung, und die Mitglieder, die es dort noch gibt, die wollen betreut werden. Der Job, natürlich ehrenamtlich, mache ihm Spaß, sagt Roland Schulz. „Mit Menschen umzugehen, das liegt mir.“

Mirko Adam sitzt in seinem Buchladen in der Gleimstraße in Prenzlauer Berg. Er verkauft Postkarten mit gestylten Jünglingen drauf und manchmal auch ein paar Bücher und ein paar CDs. Man muß sehen, sagt Mirko Adam, daß man wirtschaftlich über die Runden kommt. Deswegen ist er vor gut einem Jahr mit seinem „schwulen Buchladen“ von Friedrichshain nach Prenzlauer Berg gezogen – als klar war, daß Prenzlauer Berg das Rennen um den schwulsten Bezirk im Osten Berlins machen würde. Auf dem Papier, sagt Mirko Adam, sei er noch in der CDU. Aber eigentlich ist er frustriert von der Partei.

Roland Schulz und Mirko Adam sind schwul. Probleme mit der Partei habe es deswegen nie gegeben, verkünden beide unisono. So ganz überzeugend klingt das freilich nicht. Bei Roland Schulz hört es sich an nach Geduldetwerden, bei Mirko Adam nach dem Rollendasein eines Alibi- und Vorzeigeschwulen.

Ein Tag im März 1970. Willy Brandt steht auf dem Balkon des Zimmers 249 des Hotels Erfurter Hof und winkt dem jubelnden DDR-Volk zu. In der Menge der 15jährige Roland aus einem kleinen Dorf in Thüringen. Er hört den Bundeskanzler reden, und er hört den Applaus der Werktätigen, und er ist fasziniert. Ein paar Monate später, am 7. Dezember 1970, sieht er Willy Brandt vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau knien. „Die Größe des Bundeskanzlers Willy Brandt, sich für Fehler zu entschuldigen, hat mir imponiert.“

Da ist er, der „Gerechtigkeitsfanatiker“ Roland Schulz, der nichts weiter wollte, als von der sozialistischen DDR als Schwuler akzeptiert zu werden. Irgendwann aber mußte er einsehen, daß es mit den humanistischen Ansprüchen, mit denen sich dieser Staat rühmte, nicht weit her war. Seiner Evangelischen Studentengemeinde Erfurt wurde verboten, einen Kranz mit Schleife („Wir gedenken der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus“) im Konzentrationslager Buchenwald niederzulegen. 1985 ging er weg aus Thüringen – nach Berlin, in die Großstadt, von der er dachte, hier sei schwules Leben lebbar. Es sollte zunächst wieder ein einsames werden.

Es mögen die nie vergessenen Bilder von Willy Brandt in Erfurt und Warschau gewesen sein, die Roland Schulz 1989, gleich nach dem Mauerfall, bewogen haben, in die neugegründete SDP einzutreten und dann auch den Weg in die SPD mitzugehen. Er ließ sich im Mai 1990 aufstellen als offen schwul lebender Kandidat für die Stadtbezirksversammlung Prenzlauer Berg – und er wurde gewählt. Doch anstatt nun Schwulenpolitik machen zu können, „mußten wir dann erst einmal Demokratie lernen.“

Die SPD. „Ich werde in der Partei als Schwuler akzeptiert“, sagt Roland Schulz. Gut, manchmal, da wünscht er sich, daß sich mehr SPDler zu ihrem Schwulsein bekennen würden, um mehr bewegen zu können. Manchmal, da wünscht er sich auch von seinen Parteifreunden in Prenzlauer Berg ein bißchen mehr Interesse an schwulen Themen. Daß gerade in einem Bezirk, wo viele Schwule leben, für seine Partei hier ein Potential liege, habe so richtig noch niemand erkannt. Aber das, sagt Roland Schulz, sei bei anderen Themen genauso. „Wir überlassen viel zuviel der PDS.“ Die Arbeitslosen. Oder die Lohnsteuerhilfevereine. Nach sechs Jahren sei es der SPD noch immer nicht gelungen, ein eigenes Profil zu suchen.

Irgendwann ist Roland Schulz nicht mehr aufgestellt worden für die Bezirksverordnetenversammlung. „Was auch an mir lag. Ich hatte persönliche Probleme.“ Es klingt entschuldigend und anklagend. Niemand von der SPD habe versucht, ihm damals, 1991, aus der Krise zu helfen. Dabei hätte er gerade nach dem Überfall auf das Sommerfest von Charlotte von Mahlsdorf Hilfe gebraucht. Wo, hat sich Roland Schulz oft gefragt, war die vielgepriesene Solidarität der SPD?

Am 25. Mai 1991 hatten 70 Skins die Gäste des Sommerfestes angegriffen. Sie schlugen ein auf die Lesben und Schwulen. Roland Schulz flüchtete nicht in Charlottes Haus, er stellte sich den Skins entgegen, diskutierte mit ihnen und versuchte ihnen klarzumachen, was sie da anrichteten. Daß er nicht zusammengeschlagen wurde – „vielleicht war es einfach nur Glück“, hat er einmal gesagt .

Seine letzte BVV 1992 wurde eine der schönsten. Er kam im schwarzen Kleid und mit schwarzem Hut. Er hat seinen Auftritt genossen. Heute macht er Basisarbeit: Mitgliederwerbung und Mitgliederbetreuung. Und organisiert Kinderfeste. Wie Anfang Mai. Die großen schwulenpolitischen Ziele? Rechtliche Absicherung, ja. Homo-Ehe? „Das sollte jeder mit sich selbst ausmachen.“

Roland Schulz hat mit sich zu tun. Er will sich selbständig machen im Pflegebereich. Sicher, „ein Schritt ins Ungewisse“.

Mirko Adam hat den Schritt gewagt. Sein Buchladen liegt mitten im schwulen Kiez, rechts das „Schall und Rauch“, links das „Amsterdam“. Verabschiedet hat er sich von der Politik. Von der CDU. Das Parteibuch hat er zwar noch immer in der Tasche, aber hinter der Partei steht er längst nicht mehr.

Mirko Adam ist nicht im Streit gegangen. Vielmehr war es Enttäuschung darüber, daß aus der christlichen CDU der DDR, deren Mitglied er seit 1985 war, eine Partei ohne christliche Werte wurde. Ob er mal austreten wird? Eigentlich nein. Aber ganz ausschließen will er das auch nicht.

In der Friedrichshainer CDU sei er als Schwuler immer akzeptiert worden, sagt Mirko Adam. Schon zu DDR-Zeiten, als das Thema noch sozialistisch tabu war, und eigentlich auch danach. Eigentlich? Vorurteile, wenn auch versteckt geäußert, hat er zu spüren bekommen. Vor allem von jenen CDUlern, die aus dem Westen in den Friedrichshainer Bezirksverband kamen.

Den ersten Wahlkampf 1990 hat Mirko Adam als offen Schwuler geführt. Und auch in der BVV hat er schwule Themen angesprochen. Beispielsweise als die Klappe vor dem Rathaus zugemauert wurde. Den Bürgermeister hat er provozierend gefragt, ob er schwulenfeindlich sei. Na ja, der hat sich irgendwie rausgeredet. Die Klappe jedenfalls war zu. Auch ein kleiner Erfolg: der Untersuchungsausschuß „Lesben- und Schwulenpolitik“, den es damals in der BVV gab. Ein schwules Fest im Volkspark; ein Liste, was es an schwuler Literatur in der Bibliothek gibt – „das sind abrechenbare Dinge“.

Einmal, da hat Mirko Adam versucht, so etwas wie eine schwule Jugendgruppe innerhalb der Jungen Union zu gründen. So richtig klappte es nicht. Einmal, da hat er auch mit dem Gedanken gespielt, fürs Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Er hat es seinlassen, weil er sowieso nur einen Platz am Ende der Liste bekommen hätte. Warum sich die CDU schwertut mit dem Thema Homosexualität? „Vielleicht, weil es eine konservative Partei ist. Vielleicht auch deswegen, weil die CDU nur ein Spiegelbild der Gesellschaft ist.“