Unschuldslamm Wolf

■ Schlußwort des früheren DDR-Spionagechefs Markus Wolf im Düsseldorfer Strafprozeß: "Alles konstruierte Vorwände"

Düsseldorf (taz) – Der ehemalige Leiter des DDR-Spionagedienstes, Markus Wolf, hat gestern der Karlsruher Bundesanwaltschaft zum Abschluß seines zweiten Prozesses vorgeworfen, die Strafverfolgung gegen ihn allein aus politischer „Verblendung“ und im „Geiste des Kalten Krieges“ zu führen. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, so Wolf in seinem Schlußwort vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht, „daß die einzelnen gegen mich erhobenen Anklagepunkte nichts anderes waren als konstruierte Vorwände“.

Die Bundesanwälte halten Wolf der schweren Freiheitsberaubung in vier Fällen für überführt und fordern für ihn dreieinhalb Jahre Haft. Das Urteil wird nächste Woche verkündet. Seit Anfang Januar steht Wolf in Düsseldorf wieder vor Gericht. 1993 war er bereits wegen Landesverrats zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. Dafür hatte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung gesorgt, hauptamtlichen Mitarbeitern des DDR-Spionagedienstes weitgehend Straffreiheit zu gewähren.

Die Bundesanwälte sehen in Wolf den Hauptverantwortlichen für eine Stasi-Verschleppungsaktion aus dem Jahr 1962. Damals war der ehemalige Stasi-Offizier Walter Thräne mit seiner Freundin in den Westen geflohen. Nur wenige Tage später wurden die beiden von DDR-Agenten in eine Falle gelockt und gewaltsam über Österreich und die ČSSR in die DDR verschleppt. Der inzwischen verstorbene Thräne verschwand danach für zehneinhalb Jahre im DDR-Knast.

Während die Bundesanwälte in ihren Plädoyers davon sprachen, alle Fäden bei dieser Aktion „führten zu Wolf“, sieht sich die Verteidigung durch die Beweisaufnahme in ihrer Forderung nach Freispruch auf ganzer Linie bestätigt. Sein Mandant, so Verteidiger Wolf Römming, habe in keiner Phase des Geschehens durch eigene Anordnungen in die Aktion eingegriffen. Tatsächlich sei der Einsatzbefehl vom obersten Stasi-Chef Erich Mielke persönlich ergangen. Dessen Befragung führte indes zu nichts: Der 89jährige konnte sich schlicht an „nichts erinnern“.

Während im Fall Thräne Wolfs Rolle bis zuletzt zwischen Verteidigung und Anklage höchst umstritten blieb, ist dessen persönliche Verantwortung in den beiden anderen Fällen aktenkundig. So hat Wolf selbst den Haftbeschluß gegen den Leipziger Schriftsetzer Georg Angermann, den die Stasi für eine Diffamierungsaktion gegen den damaligen Westberliner Bürgermeister Willy Brandt einsetzen wollte, im Jahr 1959 unterzeichnet.

Angerer kannte Brandt aus der gemeinsamen Zeit in der norwegischen Emigration. Doch als Kronzeuge gegen Brandt taugte Angerer, der in Norwegen auch als Gestapo-Mitarbeiter an Verbrechen beteiligt gewesen sein soll, nicht. Nach 200 Tagen Haft ließ die Stasi den Schriftsetzer wieder frei. Danach, so sagte dessen Witwe später, sei ihr Mann ein gebrochener Mensch gewesen.

Im Fall Angerer fordert die Verteidigung ebenso die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung wie bei der Anklage wegen der Entführung der Sekretärin Christa Trapp im Jahr 1955.

Die damals für den US-Kommissar in Berlin arbeitende 24jährige war auf Anordnung Wolfs nach Ostberlin verschleppt worden, um sie als Agentin anzuwerben. Der Coup dauerte 24 Stunden. Danach kehrte Trapp unversehrt zurück. Walter Jakobs