Endstation deutscher Puff

In Rußland träumte sie von Deutschland, wollte es kennenlernen. Zwei Männer boten ihre Hilfe an. Eine Geschichte unter vielen, aufgezeichnet  ■ von Bettina Rühl

„Bevor ich nach Deutschland kam, war es wie ein Traum: Ich wollte das Land kennenlernen! Ich war damals zwanzig Jahre alt, hatte in Rußland eine Ausbildung gemacht und nebenbei Deutsch gelernt. Die Sprache faszinierte mich genau wie das Land – und plötzlich gab es diese Gelegenheit...

Eine Freundin – meine beste – sagte eines Tages, daß sie zwei nette Männer aus Deutschland kennengelernt habe. Die hätten ihr vorgeschlagen, in Deutschland in der Gastronomie zu arbeiten. Meine Freundin fragte mich, ob ich nicht Lust hätte mitzukommen; sie kenne die beiden ganz gut, und wenn es uns in Deutschland nicht gefiele, würden sie uns nach ein oder zwei Tagen zurückbringen.

Wir fuhren mit den Männern an die polnische Grenze, wo wir unsere Pässe vorzeigten. Danach nahmen uns die zwei unsere Papiere ab. In einer Stadt im Ruhrgebiet brachten sie uns in eine ihrer Wohnungen, wo wir uns duschen und umziehen sollten, um danach gleich zur Arbeit zu fahren.

Von außen war es ein ganz normales Haus, das aussah wie eine Kneipe. Eine Frau kam uns entgegen; heute weiß ich, daß es die Puffbesitzerin war, die den Club zusammen mit ihrem Lebensgefährten führte. Die beiden Männer sprachen mit der Frau noch kurz – und sind dann weggefahren. In der Küche sah ich dann drei halbnackte Frauen, und mir wurde klar, was für eine Arbeit wir machen sollten. Meine Freundin und ich aber weigerten uns – und so vergingen ein, zwei Wochen. Eines Tages sagte die Clubbesitzerin, daß wir unser Essen irgendwie bezahlen sollten, und forderte uns noch mal auf zu arbeiten. Abhauen konnten wir nicht. Wir waren den ganzen Tag eingeschlossen.

Die haben abwechselnd geschlafen – die Frau tagsüber und der Mann nachts. Wir durften nicht nach draußen, keine Briefe schreiben, nicht telefonieren. Und wir hatten ja auch keine gültigen Papiere. Wir mußten also ein paar Tage arbeiten. Irgendwann habe ich mich dann wieder geweigert zu arbeiten. Die Clubbesitzerin war sauer. Dann brachte uns ihr Lebensgefährte zu den zwei Männern, die uns aus Rußland geholt hatten, zurück.

Die beiden brachten uns in einen anderen Club. Als wir reingegangen waren, kam uns ein türkischer Mann – wohl der Clubbesitzer – entgegen, und die Deutschen fuhren weg. Der Clubbesitzer brachte uns in seine Wohnung und schloß uns ein.

Ein Tag verging, dann der zweite Tag und noch einer und noch einer. Zwischen Tag und Nacht gab es keinen Unterschied: die ganze Zeit waren die Rolläden runter. Wir bekamen nichts zu essen, und so schliefen wir die meiste Zeit. Ich weiß nicht genau, wie lange wir in der Wohnung waren. Eine Woche vielleicht. Ich hatte Angst, fragte mich, wie es weitergehen würde. Zum Schluß war meine Freundin doch damit einverstanden zu arbeiten, und ich merkte, daß sich unsere Wege trennten.

Obwohl die Männer, die uns nach Deutschland geholt hatten, es nicht wollten, erzählte ich dem Clubbesitzer eines Tages, daß ich keine gültigen Papiere hätte – und der Mann geriet in Wut. Er hat diese Männer angerufen und sie aufgefordert, uns abzuholen. Die kamen tatsächlich, und wir wurden getrennt – von meiner Freundin habe ich seitdem nie wieder etwas gehört.

Ein Mann, den ich vorher nie gesehen hatte, kam in die Wohnung. „Das ist jetzt dein neuer Chef“, hieß es. Wir gingen zusammen in den Hof hinunter, wo zwei Autos standen. An einem davon, einem BMW, lehnten fünf Männer – fünf türkische Männer, nehme ich an –, und für diesen BMW wurde ich verkauft. Das war wie, ich weiß nicht, wie in der Steinzeit. Oder wie Sklaverei.

Wieder wurde ich in einen Club gebracht, dessen Besitzer jedoch irgendwann wechselte. Der neue war ein Deutscher, zu dem man nur soviel sagen kann: Es war ein älterer Herr, der aggressiv und irgendwie verhaltensgestört war; er konnte nicht eine Minute ruhig sein. Du mußtest zehnmal überlegen, was du ihm sagst, weil du wußtest, daß du jede Minute von ihm eine drauf kriegen kannst. Der hat mich auch mal geschlagen, weil ich mich geweigert hatte zu arbeiten.

Ab und zu nahm der Mann mich mit in einen Club, den er bei sich zu Hause hatte. In dem Haus hatte er einen großen Hund und verschiedene, seltsam eingerichtete Zimmer. Heute weiß ich, daß es Sado- Maso-Räume waren, aber damals fand ich das nur grauenhaft. Ständig wurde ich von dem Mann, der von sich selbst erzählte, daß er einige Male im Gefängnis gewesen sei, bedroht. Er würde mich in ein arabisches Land verkaufen oder nach Holland, wo man mich drogenabhängig machen würde – mir Spritzen gebe, damit ich vergesse, wie ich heiße, woher ich komme. Und dann haben die so schreckliche Geschichten erzählt, daß sie schon einige Frauen getötet haben, daß die verbrannt irgendwo im Wald liegen – und keiner nach ihnen suche.

Eines Tages sollte ich wieder in dem Club bei ihm zu Hause aushelfen. Ich war in der Küche mit dem Hund eingeschlossen. In der Küche fand ich die Telefonnummer der Putzfrau. Ich rief sie an und fragte, ob sie mir die Tür aufschließen und mich abholen könnte. Ich erzählt ihr alles, in was für einer Lage ich war und was das für ein Haus ist. „Da putze ich nicht mehr!“ sagte sie, holte mich ab und brachte mich zum Bahnhof.